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Unterm Mondgesicht

■ Produzentengalerie: Die Ausstellung mit Skulpturen von Henk Visch läßt die Vielfalt des Künstlers vermissen

Basel, Berlin, Prag, Paris, Venedig, Wien - oder auf der letzten documenta: Wo immer man den Arbeiten des Holländers Henk Visch begegnete, glaubte man, in eine Gruppenausstellung geraten zu sein. Da hing ein zerschundener Körper im Neonlicht. Christus - mal nicht ans Kreuz geschlagen, sondern aufs Rad geflochten. Daneben stand ein mannshoher Tropfen erstarrt im Raum. Dort lag lasziv The Artists Model, eine lebensgroße Plastik, die mit ihren überlangen Gliedmaßen an die Geschöpfe Wilhelm Lehmbrucks erinnerte. Zwischen diesen Objekten irrten an Horst Antes' Kopffüßler gemahnende Figuren umher. Wie ein Zitat des frühen Beuys wirkte das roh zusammengezimmerte Schiffchen des Ptolemeus.

Wenn die Arbeiten des in Eindhoven lebenden Künstlers auch wie ein buntes Potpourri wirken, so zeigt sich in seinem Schaffen doch eine stringente Entwicklung. Setzte sich Visch anfangs intensiv mit der menschlichen Gestalt auseinander, so begann er Mitte der 80er Jahre, vorfindliche Dinge in künstlerische Konstrukte zu verwandeln. Beide Werkgruppen sind wechselseitig aufeinander bezogen: Sind Vischs menschliche Figuren äußerst abstrahiert, so erscheinen die späteren Werke trotz ihres abstrakten Charakters beseelt. Der Tropfen ist zur Skulptur erstarrt, Eisen hingegen in fließende Formen gegossen und von organischem Material überwuchert. Alle dinge hebben een hard, meint der Künstler.

Jüngste Arbeiten von Henk Visch in der Produzentengalerie zeigen etwas Neues. Visch vertauscht nicht mehr nur die Attribute von totem und lebendigem Material, sondern verschmelzt beides miteinander. Der Titel Das Buch einer kleinen Skulptur erschließt sich erst beim näherem Hinsehen, denn die Körperformen der Figur sind dem Umriß eines geöffneten Buches nachgezeichnet. Eine Bronzeplastik mit dem Titel Das Haus und der Form einer Riesenzitrone verschiebt die Vorstellung einer menschlichen Behausung auf die eines pflanzlichen Gehäuses. Ein Eisenrohr hat Visch wie ein Schlangenbeschwörer in die Höhe gezwungen und ihm mit einem Mondgesicht menschliche Züge verliehen, eine sich wie im Schmerz krümmende Figurine scheint dagegen in embryonale Gestalt zurückschrumpfen zu wollen.

Leider ist mit gerade mal sieben Skulpturen die Schau allzu sparsam beschickt. So klingt nur in dem Objekt Gemälde die Materialienvielfalt an, die Vischs Schaffen bisher auszeichnete: ein fröhliches Durcheinander von Stein und Stahl, Eisen und Emaille, Holz und Haar. Und nur das zweibeinige Pferd, das auf einem Styroporklotz umherstolziert, verrät etwas von dem originären Witz des Künstlers. Zum Abschied wendet eine schlicht Skulptur betitelte Figur ihr Gesicht verschämt zu Wand. Man hätte mehr sehen wollen!

Kai-Uwe Scholz

Michaelisbrücke, Mo-Fr 11-13 und 15-19, Sa 11-14 Uhr; bis 15. 4.

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