Unterlagen für A100-Verlängerung liegen aus: Die Autobahn in sieben Ordnern

In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kann man sich jetzt durch Texte, Zahlen und Tabellen kämpfen - und Infos für den Kampf gegen die A 100 sammeln.

Weniger Beton! GegnerInnen der A100-Verlängerung. Bild: dpa

Es ist ein nüchterner Raum, der in diesen Tagen einen der größten Streitfälle des Landes in sich birgt. Knapp sechs mal sechs Schritte groß, in der Mitte zusammengestellte Metalltische mit lackierter Holzoberfläche unter neun Neonröhren. An der Wand ein paar Karikaturen älteren Datums. Auf den Tischen zwei Sets aus sieben roten Ordnern, von denen jeder geschätzt 300 DIN-A-4-Seiten enthält: Die Unterlagen für den umstrittenen Weiterbau der Autobahn 100, der die Stadt und die SPD spaltet und fast zum Ende der rot-roten Koalition geführt hätte. Die Planungen sind mit dem sogenannten Planfeststellungsbeschluss abgeschlossen. 14 Tage lang liegen sie nun aus, in den Rathäusern Neukölln und Köpenick - und eben dem Raum 116 einer Nebenstelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Köllnischen Park.

Dort blättert an diesem Spätnachmittag ein Mann Anfang 50 durch einen weiteren 277 Seiten starken, blau umhüllten Band: Es ist der eigentliche Beschluss. Harald Moritz hat schon viele solcher Unterlagen gesehen. Seit Jahren kämpft er in der Bürgerinitiative Stadtring Süd, kurz BISS, gegen die Autobahn. Der Streit um das geplante rund drei Kilometer lange Teilstück zwischen Neukölln und der Elsenbrücke am Treptower Park entscheidet sich zwar nicht in diesem Raum. Aber hier lagern die Unterlagen, aus denen Moritz Informationen für den eigentlichen Kampf gegen das 400 Millionen Euro teure Projekt ziehen kann. Der wird am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ausgetragen: Moritz Initiative und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) haben eine Klage angekündigt und rufen betroffene Anwohner auf, ihre Rechte geltend zu machen. In Leipzig klagen will auch der grün regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Moritz sucht die Stellen, in denen die zuständige Verwaltungsabteilung VII E, die Planfeststellungsbehörde, auf Einwände aus einer Anhörung zur A 100 eingeht - oder auch nicht. Wo denn der Hinweis auf die geforderte erneute Auslegung der Pläne sei, fragt Moritz. Hilfe kommt aus einer Ecke des Raums, wo ein Mitarbeiter der Behörde an einem Computer sitzt: Er solle mal auf Seite 257 nachschauen, unter "spezielle Rechtsfragen". Eine zufriedenstellende Antwort findet Moritz auch dort nicht, was sich noch ein paarmal wiederholen wird. Immerhin soll er als Verfahrensbeteiligter eine CD mit den kompletten Unterlagen bekommen.

Der Verwaltungsmann und der Autobahngegner Moritz - da müsste eigentlich in dem kleinen Raum die Spannung greifbar sein. Das Gegenteil ist der Fall. Einen gewissen gegenseitigen Respekt scheint es zu geben zwischen den beiden Männern. Mehrfach geraten sie in kurze Fachdiskussionen, reden von BAST, von einer HBS-Tabelle, stehen sich nichts nach im Verwenden von Abkürzungen, die für den Laien unverständlich sind. Moritz kennt sein Gegenüber von Behördengängen, Telefonaten, Planungen und dem Widerstand gegen den Autobahnbau seit den 90er Jahren.

Der Laie habe wenig Durchblick bei einer solchen Auslegung von Unterlagen, sagt Moritz: "Das ist schon schwierig, da muss man sich richtig einlesen." Dass Moritz in diesem Geflecht aus Text, Zahlen, Plänen, Tabellen durchblickt, liegt nicht daran, dass er Verwaltungsmann, Straßenbauingenieur oder Jurist wäre. Vielmehr ist er Kfz-Mechaniker und wohnt seit 1977 in Treptow, wo die Autobahn mal vorbeiführen soll. Er sei schon immer technisch interessiert gewesen, er hat sich immer tiefer in die Sache reingearbeitet. Wenn es beim Kampf um die Autobahn schon keine Waffengleichheit gebe zwischen der großen Senatsverwaltung und der kleinen Bürgerinitiative, so will er in der Auseinandersetzung zumindest fachlich fit sein.

Schon vor der Wende habe er sich oppositionell engagiert, erzählt Moritz. 1990 kam er in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), blieb dort neun Jahre, war später bis 2006 Kreischef der Bündnisgrünen in Treptow-Köpenick, bis er sich auf den Widerstand gegen die Autobahn konzentrierte. Die BISS, in der sich nach seiner Zählung ein gutes Dutzend Menschen engagiert, sei schon früher entstanden, in den 70er Jahren in Tempelhof. "Die ist mit der Autobahn mitgewandert", sagt Moritz.

Draußen ist es dunkel geworden. Eigentlich wäre in Raum 116 längst Feierabend. Von 9 bis 14 Uhr lassen sich die Pläne hier einsehen. "Wer hat denn da als Arbeitnehmer Zeit?", kritisiert Moritz und fordert, die Unterlagen ins Internet zu stellen. Das gehe nicht wegen des enormen Umfangs, sagt der taz später eine Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung. Und nur die 277 Seiten des eigentlich Beschlusses online zu stellen, reiche nicht aus - möglicherweise auch juristisch nicht. "Entweder alles oder nichts", so die Sprecherin. Sie verweist darauf, dass sich auch Termine außerhalb der offiziellen Zeiten vereinbaren lassen. Deshalb kann auch Moritz noch am späten Nachmittag Einblick nehmen.

Viele haben das vor ihm noch nicht getan. Ein halbes Dutzend Namen nur steht vor Moritz auf einer Besucherliste der ersten beiden Tage, einige mehr mögen es gewesen sein, weil der Eintrag nicht verpflichtend ist. Betroffene und Einwender können sich immerhin den Planfeststellungsbeschluss zuschicken lassen. Die Initiative BISS kritisiert dieses Verfahren. "Gemessen an den eigenen Maßstäben, eine breite öffentliche Transparenz bei Planverfahren und eine bürgerfreundliche Verwaltung zu schaffen, hat die SPD-geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung versagt", schreibt sie in einer Presserklärung.

Noch bis Monatsende liegen die Pläne aus. Danach haben Moritz, die BISS, der Bund und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg vier Wochen lang Zeit, beim Bundesverwaltungsgericht Klage einzureichen. Experten schätzen die Dauer eines solchen Verfahren auf ein bis zwei, vielleicht sogar drei Jahre, und während dieser Zeit dürfte der Autobahnbau nicht starten. An der Tür von Raum 116 hängt jedenfalls schon servicegerecht ein Informationsblatt mit der Gerichtsadresse: Simsonplatz 1, 04107 Leipzig.

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