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Unterentwickelte Diskussionskultur –betr.: „Das Wohlfühlangebot“, Ozan Ceyhun zur doppelten Staatsbürgerschaft, taz vom 11. 1. 99

Die Diskussion über die doppelte „Staatsbürgerschaft“ (ich finde den Begriff „Staatsbürgerschaft“ anachronistisch. Deswegen habe ich ihn mit Anführungszeichen versehen) wird von Tag zu Tag absurder. Der Kreis der Bedenkenträger, die sich um die Sicherheit der BRD durch Doppelbürgerschaften sorgen, reicht von Ozan Ceyhun, dem Europaabgeordneten der Grünen, bis hin zum rechten Rand. Sie unterscheiden sich zwar in Nuancen, aber bei näherem Hinsehen kommt es auf dasselbe heraus: durch die Doppelbürgerschaften könnte ein „Sicherheitsrisiko“ für die BRD nicht ausgeschlossen werden.

Das Gefährliche ist für mich, daß die Diskussion sich auf einen bestimmten Bevölkerungsteil der eingewanderten Minderheiten konzentriert, nämlich auf die aus der Türkei. Dies verstellt den Blick auf den gesamten Kontext der Einwanderung. Die aus der Türkei stammende Minderheit macht gerade mal ein Viertel der hier lebenden Minderheiten aus. Der Rest kommt aus aller Herren Länder. Warum also Fokussieren nur auf diesen Teil der EinwohnerInnen dieser Republik?

Dies macht den Bedenkenträgern die Sache einfacher. So können sie beispielsweise eine sachliche Auseinandersetzung über die Einwanderung insgesamt kaputtschlagen. Die Diskussionskultur über die Einwanderung in der BRD ist noch ziemlich unterentwickelt. Deswegen wird um die Sache herumgeredet. Mal redet man von „Gästen“, mal von „Ausländern“, mal von „EinwanderInnen“ usw. Sehr wenige reden von „ethnischen Minderheiten“, wobei in anderen europäischen Ländern es eine Selbstverständlichkeit geworden ist, von ethnic minorities“ zu sprechen.

In anderen europäischen Ländern redet man auch nicht von der „Staatsbürgerschaft“, sondern von der „Bürgerschaft“. Zum Beispiel reden die Engländer von „Citizenship“. Dies meint, daß die Menschen, deren Lebensmittelpunkt in England ist, der englischen Gesellschaft angehören, aber nicht unbedingt Untertanen des englischen Staates sind. Genau um diesen Punkt geht es in der Diskussion hier: Sollen wir der deutschen Gesellschaft mit allen Pflichten und Rechten angehören oder als Untertanen dem deutschen Staat. Viele, die sich in der letzten Zeit in die Diskussion eingeschaltet haben, meinen das zweite. [...] Ismet Küpelikilinc, Dietzenbach

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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