: Unter farcenhaften Bedingungen
■ Hübsche Klamotte mit Möbelrücken und Ineinanderrennen: Michael Bogdanov inszeniert Peter Shaffers „Komödie im Dunkeln“ am Münchner Residenztheater
Mit einer guten Idee aus der Peking-Oper rettete 1965 Peter Shaffer die Sommerfestspiele des englischen Nationaltheaters, das händeringend nach einem dritten Stück suchte. Shaffer hatte da eine Szene gesehen, in der zwei Männer einen Schwertkampf im Dunkeln ausfechten – bei vollem Licht auf der Bühne. Bei einem Lunch mit dem Chefdramaturgen des Theaters meinte Shaffer, daß dieser Einfall doch auch für eine heutige Geschichte ausgenützt werden könnte, und sogleich beauftragte ihn der Chef des Nationaltheaters, Laurence Olivier, die Komödie eilends zu schreiben. Innerhalb kürzester Zeit entstand „unter farcenhaften Bedingungen“ (Olivier) die „Black Comedy“ und wurde gleich ein Welterfolg.
Kein Schwerterkampf tobt da, sondern der etwas angesemmelte Künstler Brindsley mit seiner Verlobten Carol. Die beiden erwarten nicht nur den strengen Vater Colonel Melkett zum ersten Inspizieren des zukünftigen Schwiegersohnes, sondern auch noch den Milliardär Godunow, der sich für Brindsleys schräge Plastiken interessiert. Und weil Brindsley so arm ist, haben sie vom Antiquitäten sammelnden, schwulen Nachbarn Harold, den sie im Wochende wähnen, dessen beste Stücke schnell mal „ausgeliehen“. Just als sie die Platte mit Marschmusik zur Begrüßung für Colonel Melkett abspielen, schmort das Hauptkabel durch und es wird stockdunkel – und auf der bisher dunklen Bühne gleißend hell. So bleibt es, bis der Elektriker Schupanski nach 100 Minuten das Kabel wieder repariert hat. Die Finsternis erweist sich für Brindsley als Segen, denn nicht nur Nachbar Harold kehrt unvermutet zurück, sondern auch Brindsleys Verflossene, Clea. Nur im Dunkeln kann Brindsley nun sowohl Harolds gute Stücke wieder zurücktransportieren und vor ihm verstecken als auch seine herumgeisternde alte Liebe vor allen anderen. Und auch die Nachbarin, Miss Furnival, ein spätes Mädchen, das in der Wohnung Schutz sucht, gewinnt der Dunkelheit einiges ab, schließt diese doch die gut assortierte Bar gnädig mit ein. Man sieht: eine hübsche Klamotte um Möbelrücken, Telefondrahtverwicklungen, Ineinanderrennen und Aneinandervorbeilaufen, deren Spaß darin besteht, daß Leute im Dunkeln ziemlich tapsig sind, gleichzeitig aber auch Sachen machen können, die mit Fug das Licht scheuen. Einziges Problem: Wie lange trägt die Slapstickidee?
Das Residenztheater hat für den lustigen Schnellschuß aus den Sixties nicht nur den englischen Gastregisseur Michael Bogdanov nach München geholt, sondern sich von Kendra Ullyart auch eine poppige Ausstattung im Stil der späten Carnaby-Street-Epoche zimmern und schneidern lassen, die in ihrer rührenden Verstaubtheit, von Schlaghose bis Blümchenpower den rechten Hintergrund für die schrägen Nummern abgibt. Rufus Beck, nach drei Jahren erstmals wieder am Resi, trägt den Schlag mit Charme und turnt mit Möbeln, Lampen und Porzellan wacker und mitunter akrobatisch durch die gleißende Finsternis, ein ums andere Mal unter Beweis stellend, daß sein komödiantisches Talent weder Licht noch Dunkel scheuen muß. Natalie Seelig legt ihre Carol sehr hübsch irgendwo zwischen Emma Peel, Farah Diba und Ingrid Steeger an, was angesichts der Jugend der Schauspielerin allein schon historiographisch eine Leistung ist. Esther Hausmann als Clea kratzt die Sixties-Kurve nicht so gut und hat als einzige im Dunkeln einfach zuviel Durchblick (Daß sie, wenn sie sich als Putzfrau verstellt, ausgerechnet ins Hamburgische verfällt, ist freilich nicht ihr Fehler). Timo Dierkes als Harold hat einen schönen Eifersuchtsausbruch, bleibt aber als Antiquitätenliebhaber im dunklen Porzellanladen zu wenig genutzt. Da ist Werner Haindl als zackiger Colonel Melkett in seiner Schlacht mit dem Schaukelstuhl schon ein anderes Kaliber. Ausgesprochen vergnüglich agiert auch Roland Bayer als kunstverständiger russischer Elektriker, der im Dunkeln für den erst ganz spät auftauchenden Godunow (Gerd Anthoff) gehalten wird und im Schein seiner Taschenlampe (die Bühne versinkt in Dämmerlicht) Brindsleys Plastiken gepflegt zu Meisterwerken hochjubelt. Elisabeth Rath schließlich schlägt mit ihrer Miss Furnival einen gelungenen Whisky continuo für die Entwicklung des Chaos.
Bogdanows Inszenierung schafft es eine Stunde lang, dieses Chaos mit immer neuen Ideen am Blühen zu halten. Gegen Ende ermatten jedoch Akteure wie Zuschauer ein wenig. Es ist wie im richtigen Dunkel: Nach einer gewissen Zeit sieht man selbst in der Finsternis ein bißchen und gewöhnt sich an sie. Und so gewöhnt man sich auch an das erhellte Dunkel der Black Comedy. Dennoch: Soviel gelacht wurde im Resi schon lange nicht mehr. Thomas Pampuch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen