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Unter Laubbeuteln

■ Auf du und du mit dem Deko-Material / Ausgesetzt in die Welt des Dekorations- und Schaufensterbedarfs

„Was wollen Sie“, findet die Dekorationsbedarfsdame, „das ist doch soo haltbar!!“ Dabei will ich gar nichts, ich finde doch mit! Es ist wirklich alles soo haltbar. Und soo praktisch. Alles, was hier - ich befinde mich vor Ort im Sommerloch bzw. im Dekorationsladen mit Schaufensterbedarfsbereich - steht, hängt oder liegt, ist praktisch, dankbar und doch schön und hat das einzige Ziel, auf sich zu verweisen und auf das dahinter. Eine ehrliche Welt. Und dazu eben noch praktischer und schöner als Dauerwurst, weil plastikewig.

Praktisch sind auch die Kunden: Erst gestern sei ein Arzt gekommen, erzählt die stolze Deko

Besitzerin, dem seien alle Praxispflanzen eingegangen, kein Wunder, denke ich, gießen Ärzte? Jedenfalls kaufte er unechte drei-bis siebenteilige Yuccas. „Hoffentlich merken die Patienten nichts“, sage ich, „außer, sie grabbeln an den Blättern im Wartezimmer und entdecken dann die ungesunde Plastik ...“ „Plastik!!“, die Stimme der Bedarfsdame legt sich in die Kurve, „das sind alles Seidenblumen!“ Ja, die halten alles aus. „Sehen Sie“, sagt sie und faßt extra gemein mitten ihre Rosensträuße, daß man aua sagen möchte oder Dorne sein, „alles Seide, imprägniert.“ Ist das nicht schön? Ist das nicht wunderwunderschön? Ist das nicht viel schö

ner als in echt? Und gar nicht oder genauso teuer! Sofort grinsen auch alle plastischen Ewigkäse und Ewigmöhren und Ewigapfelsinenhälften und Ewigpetersilien wie Angeber und sagen mit Ausrufezeichen: Wir sind schöön!! Wir Petersilien: schöön! Und praktisch! Jeder Metzger kann ein Lied von uns singen, der seine Landjäger dekorieren will! Wir Zitronenketten: schöön! Und praktisch! Alle Passanten werden sauer und lustig werden bei unserm Anblick im Eiscafe!

Die meisten Dekor-Objekte haben ihren Täuschend-echtseins -Test bereits bestanden: Zum Beispiel die Deko-Eier, die der Deko-Gatte seiner Frau zu

warf, daß sie alle Tüten fallen ließ um zu fangen - das ihr! Oder: Ihre Mutter, die neulich im Krankenhaus lag, ist mit einem roten Seidenrosenstrauß besucht worden, selbstverständlich wie echt. „Prima“, finde ich, „da hat sie sie ja mit nach Hause nehmen können.“ „Um Gottes willen“, sagt die Deko-Chefin, „Krankenhausblumen darf man doch nicht mit nach Hause nehmen, da kommt man doch wieder!!“ Ach so. Kunst-Werk und Aberglauben geht nicht?

Längst hat Ottilie Normalverbraucherin ihre gestalterische Schlagader entdeckt und die Deko-Läden als pfunds Grube ausgemacht. Müde Schlafzimmer, erzählt die Fachfrau, werden so wieder munter mit einem schicken Riesen-Fächer hinter beider Kopfteil. Auch Hochzeiten verlangen neuerdings nach mehr: Ein Kunde wollte letzte Woche 1.000 Luftballons und darüberhinaus in etwa die Blasezeit wissen. In etwa eine Minute pro Stück, hat sie errechnet, und das nur, damit ein Hochzeitspaar sich durch alle 1.000 zum Bett pieksen muß. Witzige Leute sind das heute.

Im nächsten Deko-Geschäft gibt es Schaufenster-Vorschläge. Graumelierte Styropor-Torsi oder Thema „Herbst“. Thema Herbst ist eine hübsch arrangierte Gruppe aus einem sogenannten Blickfang, meist ein dekoratives Bild, in unserm Falle mit Holztüre, Baumstumpf und Besen zum Kehren. Dazu paßt ein Laubbeu

tel zu DM 23.80.-, sortiert a 75 Stück, original bunt, also so, wie wir's uns wünschen, die wir noch mit gelben Stoppelfeldern im Kopf rumlaufen. Thema Sommer ist hier schon vorbei: Die riesigen Eiswaffeln stehen hinter dem Blusenrundständer und den „Oh!„

Schildern. Sonst läuft auch hier alles zu seiner Idealform mit den extra eingearbeiteten Form-Fehlern auf - fast, als gäbe es einen Gott, der eben alles, auch die Augen in den Kartoffeln, erschaffen hätte. Oder sind wir alle Dekoration? Claudia Kohlhas

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