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„Unsere LPG hat hundert Gänse“

Kalte Platten nur mit Vorbestellung oder: Wenn Großstädter einen Ausflug ins Brandenburgische machen oder: Wo die Bundesregierung zukünftig vielleicht ihre Gäste einquartieren wird: im Schloß Dammsmühle  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Der Bewegungsradius des Großstädters ist häufig viel kleiner, als der des Kleinstädters. Während der Großstädter glaubt, hier hätte er schon alles, was er braucht, genügt dem weltoffenen Provinzler nur selten seine Umgebung. Häufig zieht er mit großer Begeisterung am Wochenende hinaus, um sich in wilden Dorfdiskotheken viel besser zu amüsieren, als der Berliner daheim. Ein Musiker aus Kreuzberg, der mit seiner Metal- Band „Raw Spurge“ kürzlich in Finsterwalde spielte, bestätigte, daß es draußen viel wilder und enthusiastischer zugehen würde als in Berlin. So schworen auch wir uns, öfter ... (etc.)

Der Dinge sind viele, die sich der Berliner zum Jahreswechsel vornimmt. Wir schworen uns, öfter dem großstädtischen Provinzialismus zu entfliehen und häufiger ins Umland zu fahren. Am Summter See, im Schloß Dammsmühle sei es besonders schön, hatte man uns schwärmend gesagt: „Summt, dein grünes Seegelände / Deine Triften und dein Park / Widerlegen die Legende / Von der Sprödigkeit der Mark.“ (Alfred Kerr) Besonders praktisch war außerdem, daß das Ausflugsziel kaum 30 Kilometer von Berlin entfernt ist. Vorbereitungen wurden getroffen, ein Zimmer im Schloß bestellt, in dem neben legendenträchtigem preußischem Adel und diversen Nazigrößen, auch Napoleon übernachtet haben soll, bevor es dann zum streng abgeschirmten Stasiobjekt wurde. Auch heute noch heißt es verdächtig im Hotelprospekt: „Wir bitten um Verständnis, daß bis auf weiteres Orts- und Ferngespräche nur über unseren Empfang vermittelt werden können.“ Inzwischen zieht man das Schloß Dammsmühle als Gästehaus der Bundesregierung in Betracht.

Entschuldigend hatte ein Hotelangestellter am Telefon erklärt, daß sein Haus noch unter Treuhandverwaltung stünde, und da seien manche Gäste schon enttäuscht gewesen, und deshalb sei der Service jedenfalls schwierig, und so müsse er uns auch jetzt schon fragen, ob wir für den Ankunftsabend eine kalte Platte bestellen wollten. Fünf Tage im voraus wollten wir das noch nicht entscheiden und baten um Bedenkzeit. (Die Kalte- Platten-Frage sollte uns übrigens noch den ganzen Tag verfolgen, bis sie, die Platte, dann auch kurzfristig kam.)

Im Schloß waren wir die einzigen Gäste, das heißt, in einem abgetrennten Speisesaal saßen noch ungefähr dreißig Teilnehmer einer Verkaufsfahrt, die die diskret am Rande des Speisesaals recht liebevoll aufgebauten wichtigen Dinge des alltäglichen Lebens mehr oder minder ignorierten: Gläser mit blauem „Eisgel“, „Hascherpur“, „Multivitamindragées“, „SiKis“ (Sitzkissen), einige Portemonnaies („die können Sie nicht kaufen; das sind Werbegeschenke“) und Schreibetuis. Zweimal am Tag würden sie das Schloß anfahren, erzählt eine der Veranstalterinnen im ebenfalls diskreten blauen Kostüm, und „das, was Sie hier sehen ist eigentlich Kleinkram“; vor allem verkaufe man Pelze und derlei. „Und wenn einem was gefällt, da fragt man doch nicht nach dem Preis“, lobt eine andere silberblonde Verkaufsfrau ihre Waren, um gleich danach wie erwartet die außergewöhnlich geringen Preise hervorzuheben, während wir uns aufmachten, die wildromantische Gegend zu erkunden.

Als Großstädter starrten wir die ungewohnte Natur an und verliefen uns natürlich, verwirrt darüber, keinem einzigen Spaziergänger zu begegnen, versanken in feuchten Wiesen auf der Suche nach einem Weg, den es – wie wir später erfuhren – gar nicht gab und landeten schließlich in Mühlenbeck, ziemlich weit weg vom Ausgangspunkt und recht verzweifelt. Im örtlichen Lebensmittelgeschäft „Mein Markt“ erklärte uns eine Frau, daß es Taxis schon seit der Wende hier nicht mehr gebe, aber sie könne ja Herrn Blankenburg fragen – der wäre früher gefahren. Auch seine Frau hätte eine Fahrerlaubnis.

„Herr Blankenburg“, rief sie freundlich an einem Gartenzaun, dann „Dieter, komm doch mal her“ . Dieter kam, doch sein Auto war gerade unterwegs. So stellte die Mittvierzigerin, wie um uns die Sorglosigkeit der Dorfgemeinschaft zu demonstrieren, ihre Einkaufstaschen unbeaufsichtigt an ihren Zaun und führte uns zu anderen Nachbarn. Ein gemütlicher Mittfünfziger rettete uns schließlich und klärte uns während einer wilden Fahrt über das Schloß auf: alles sei unterkellert gewesen, von Atombunkern war die Rede, auch hätte man hier alle abhören können – von „Moskau bis Amerika“. Als er merkte, daß wir aus Kreuzberg waren, sagte er noch, daß es ihn sehr ärgere, daß „der mit dem Hut“ dauernd so täte, als wäre er bescheuert, daß die „Kleinen“ drei Jahre in den Knast müßten, während die eigentlich Verantwortlichen frei rumlaufen könnten. Von Aufhängen war die Rede und dergleichen. Außerdem gäbe es hier viele wilde Tiere: Rehe, Wildschweine, Fasane kämen winters oft bis zu seinem Hof.

In einem Nebenzimmer des Schlosses singt jemand am Klavier: „My way“. Seine Version erinnerte eher an Johnny Rotten als an Frank Sinatra. (Tags zuvor hatte die „Renft“-Band übrigens im „Franz-Klub“ kurzzeitig die DDR- Hymne intoniert, „Give Peace a Chance“ gefordert, und außerdem gesungen: „Unsere LPG hat hundert Gänse“.

Das war schön gewesen, und alle sangen mit. Sonst ist es still. Nachts im Schloß sind wir die einzigen Gäste. Sehr beeindrucken konnte eine Tapete im Speisesaal mit lauter roten Rosen.

Schloß Dammsmühle; Doppelzimmer: 120 DM, Sauna, Rote-Rosen- Tapete im Speisesaal ohne Aufpreis, am leersten und nettesten ist es Mo & Di, 16352 Schönwalde, Tel.: 033056/85202

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