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»Unsere Kultur wird auch hier überleben«

■ Der Saxophonist Gary Wiggins aus Detroit hat in Schöneberg Berlins erstes Zentrum für Black American Music eröffnet

Der Clubraum bietet gerade mal 50 Sitzplätze, und auch der Name klingt bescheiden vertraut: im ehemaligen Blues-Café an der Schöneberger Körnerstraße hat Saxman »Detroit« Gary Wiggins den Musikern und Fans afroamerikanischer Live-Musik ein Berliner Domizil eingerichtet. In den 80er Jahren hatte sich das Blues-Café schon mal als Institution für jenes erdige Musikgenre etabliert, wenn es auch auf der Landkarte der Berliner Veranstaltungsorte ein eher schattiges Dasein fristete. Was früher ein Bluesspot im Eckkneipendesign war, entpuppt sich heute als ambitionierter Musikclub der besonderen Art. Von der Metallkette am Eingang, über das Service-only!-Schildchen auf dem Tresen, entlang an einer bunten Graffitiwand mit der Begrüßungsformel »Welcome to the BluesCafé« bis zu einer Ecktür mit dem Hinweis »Restrooms, Cigarettes« — alles ist hier sehr amerikanisch.

Ich treffe mich mit dem Saxman und Director in seinem Büro backstage. Eingehüllt in Zigarettenqualm, surrt allein der Ventilator den Nachmittagsblues. »Die Musik kommt von innen heraus, wie die Sprache, die du sprichst«, erläutert der Saxman. »Die deutsche Sprache ist sehr hart, sie hat keinen Groove, wir sprechen irgendwie cooler und melodischer — aber das kann man alles lernen. Ich bin in einer schwarzen Neighborhood aufgewachsen, das ist auch das einzige, was ich hier manchmal vermisse. Amerika oder Detroit waren schließlich nie ‘unser‚, denn wir Schwarzen sind dort nach wie vor eine Minderheit, die von der Macht ausgeschlossen ist. Heute ist dort alles überschwemmt mit Kokain und synthetischen Drogen. Als ich im Januar meine Mutter besuchte, konnte man nach 17 Uhr nicht mehr auf die Straße, weil dort nur noch Kriminelle und Bullen herumirrten. Eine kalte Atmosphäre. So sieht's doch aus.«

Als Wiggins vor drei Jahren nach Berlin zog, entdeckte er schnell das Problem so vieler ausländischer Musiker in dieser Stadt. Respektlosigkeit und Ignoranz auf seiten der Veranstalter und Medien und ein Publikum, das sich allzu schnell daran gewöhnt hat, daß in seiner Nachbarschaft hochkarätige amerikanische Musiker leben, während es nur auf die eingeflogenen Namen lauert — und auch nur für die zu zahlen bereit ist. Ein altes Problem.

»Berlin boomt«, fährt der Saxman fort, »alles wird sich hier ändern, das Geld wird immer wichtiger, vorbei ist's mit der Wessi-Insel, und aus der Dorfmentalität der Berliner Bewohner sollte sich wenigstens mehr Respekt vor anderen Kulturen entwickeln. Ich habe schnell gemerkt, daß man dafür hier selber was tun muß. So ist die Idee entstanden, das alte Blues-Café zu übernehmen und in ein kulturelles Zentrum für Black American Music umzugestalten. Vor zwei Monaten haben wir eröffnet, und es ist wirklich gelungen. Hier ist alles wie in meiner Neighborhood in Detroit, es hat den speziellen Sound und Groove. Es ist für uns so, als wenn du mal eben nach Detroit oder New York fliegst, ohne Berlin zu verlassen.«

Und man spürt das. Keine Show der Stadt vermittelt derzeit dieses Gefühl, kein Platz entspricht so sehr etwa dem Bradleys in New York, wo man einfach nur rumhängen kann und sich trifft. Auch fehlte bislang ein After-Hours-Club, wo Musiker nach einem anderen Gig einfach mal vorbeischauen und zwischen zwei Drinks für ein Stück einsteigen, einfach so, aus Lust am Spielen. Man kann sich also überraschen lassen als Gast — auch von den Zugaben zum angekündigten Programm.

»Wir haben damals noch alles auf der Straße gelernt, es gab noch keine Jazzimprovisationsklassen« — Gary Wiggins wurde einst von dem legendären Jazzsaxophonisten Mr. Arnette Cobb protegiert, nachdem der Chicago-Blues schon zu seiner zweiten Heimat geworden war. In zahlreichen Platteneinspielungen ist sein vielseitiges Schaffen bereits dokumentiert. In der Barwalker-Tradition des Honk- und Shoutsaxophons kann Wiggins den Club zum Brodeln bringen. »Ich spiele nicht nur einige Saxophonlinien, ich bringe meine Kultur auf die Bühne, schwarzamerikanische Kultur, dafür zahlst du den Eintritt.«

In der Funktion, die man in Amerika »Artist in Residence« nennt, möchte sich der Saxman auch hier gern respektiert wissen. »Ich habe mit meiner Familie Berlin als Wohnort gewählt, und ich bin dabei, hier den Traum zu realisieren, den jeder Musiker wenigstens einmal im Leben träumt, der den meisten aber unerfüllbar bleibt: in seinem eigenen Club aufzutreten.«

Dieses Jahr wird der Saxman 40, und in der kommenden Woche feiert er sein 30. Jubiläum als Saxophonist — vom Saxboy zum Saxman und Director — von 1. bis 5. September gibt es täglich »Blues-related-Crossover- Music mit ihm selbst, und dazu hat er zahlreiche zur Zeit in Berlin lebende Künstler der Black American Music zu gemeinsamen Konzerten eingeladen. »Berlin«, sagt er zum Abschied, »Berlin ist für uns eine Herausforderung. Amerika ist total im Arsch. Aber unsere Kultur überlebt auch hier. Darum geht's.«

Wenn man das Café verlassen hat, kling der Sound noch auf dem Heimweg nach. Aber an der nächsten Ecke lauert schon wieder die Potse mit ihrem heimatlichen Image aus Kondomen und Pisse. Nun gut, Berlin hat uns wieder. Christian Broecking

Gary Wiggins Jubilee von 1. bis 5. September unter anderem mit Bob Lennox (1.9.), Doug Duffy (2.9.), Reggie Moore/Earl Bostic (4./5.), Lenjes Robinson, Zam Johnson, Darryl Taylor, Tony Hurdle — im Blues-Café, Körnerstraße 11.

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