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Unschuldig gewölbt

■ Boxer sind eine leibhaftige Versuchung PRESS-SCHLAG

Sonst sind sie bei St. Pauli am Millerntor, am Rothenbaum beim Tennis oder den Eiskünstlern von Holliday on Ice. Doch dann ging das Redaktionsduo (m/w) aus Hamburg dorthin, wo Öffentlichkeit durch die Presse sonst so spärlich ist wie die Bekleidung — und war völlig hingerissen.

Der Vorgang ist so statutengemäß wie fair: Wiegen beim Boxen. Wer gehört ins Weltergewicht, wer ist Halbfliege? Und dabei wird um jedes Gramm gerungen. Mittwoch war Wiegetag bei den 68. Deutschen Amateurboxmeisterschaften. Alle 90 Kämpfer mußten erscheinen, alle wie sie Trainer, Gott und sie selbst geschaffen, mußten sie auf die Waage.

Ein erstaunlich penibler Vorgang: Nach Strümpfen fällt auch noch die Unterhose. Und vor den Betrachtern stehen sie dann — die schönsten, knackigsten Sportler der olympischen Familie. Kein sehniger Langstreckler kann mithalten, kein Eiskunstläufer und schon gar kein Retortenschnuckel wie Ben Johnson — geschenkt. Zu sehnig, zu muskulös, viel zu konturiert. Ohne Fleisch auf den muskulierten Körperflächen, nichts Rundes, Fließendes lockt mehr zum Beschauen, ach was: zum Anfassen.

Bei Amateurboxern sieht es hingegen harmonisch aus. Andreas Schnieders beispielsweise, ein Superschwergewichtler aus Oldenburg, wenn er mit seinen 2,05 Metern auf der Waage steht, nur eine hellblau-gestreifte U-Hose von nackiger Schönheit entfernt, hat äußerlich nichts von einem im Bodystudio gestylten Mutanten an sich.

Lange, schöne Beine, gerade gewachsene Arme, breite Schultern — und als Krönung ein leicht blondbehaarter Arsch, so unschuldig schön gewölbt, rund, knackig, knusprig — keine schlaffhängende Fortsetzung des Rückens, kein Pummelmodell, das nach Abspecken schreit. Und dazu dieses freundliche Gesicht, diese höflichen Manieren, die indes fast jeden Amateurboxer auszeichnen: Erotisch ist dies alles mehr als eine Versuchung wert.

Für fast alle Kämpfer gilt: Oberarme zum Dahinschmelzen, schlanke Waden, stramme, ebenmäßige Schenkel. Männer mit Modellmaßen, manchmal monumentale Kunstwerke in Fleisch pur. Nur die meist schiefen Nasen hindert die Athleten daran, die Branche zu wechseln, auf den Laufsteg beispielsweise. Und auch das Klischee, Boxer hätten den lieben langen Trainingstag nichts anderes zu tun, als sich schnaufend am Sandsack zu trainieren und später auf der Sonnenbank zu schmurgeln, wird nicht bestätigt. Die Körper sehen gut durchblutet aus, ein Ergebnis regelmäßigen Konditionstrainings offenbar.

Nur die Athleten aus der ehemaligen DDR — immer erkennbar an ihren Unterhosen, die mehr nach Baumwollsäcken mit Straffgummi ausschauen — enttäuschen ein wenig. Nicht allein, daß ihnen der Trainingsfleiß abhanden gekommen zu sein scheint. Nein, auch beim Wiegen sieht man, daß im Arbeiter- und Bauernstaat auf die Bedürfnisse der Voyeure keine Rücksicht genommen wurde. Blaß, fahl, blutleer sehen sie aus — einschließlich der unvermeidlichen Nackenspoiler. Muskeln haben auch sie, aber es fließt nicht; eckig und kantig, als ob sie noch nicht ganz ausgewachsen sind.

Aber auch für sie gilt: Schöner als Sehnen- und Muskelstränge wie Harald Schmid, Carl Lewis oder Thomas Schönlebe sind sie allemal. Weit entfernt davon, ähnlich unschön ins Auge zu stechen wie Gewichtheber vom Schlage Karl- Heinz Radschinskys, dessen Muskelberge plötzlich seinen Kopf wie eine Erbse auf einer Porreestange aussehen ließen. Nein, auf die Körper der Boxer lassen wir nichts kommen. Und ihre Schniedels, nun ja, über die verlieren wir kein Wort. Sie sind ebenso knopfig, schräg, fleischig und dünn wie andere auch.

Dennoch: Wir würden uns gerne mal ein Abenteuer mit ihnen gönnen, einmal in das hineinbeißen, was so appetitlich wie die natürliche Verbindung von Kraft und Anmut ausschaut. Schade nur, daß die meisten Amateurfaustkämpfer ebenso brav wie fest liiert sind. Hamburgs Volker Kiparski beispielsweise stand völlig unschuldig auf der Waage und fragte, als wir um ein Gespräch bitten: „Ich hab son Hunger, ich möcht' zu meiner Lütten nach Hause.“ Das ist seine Frau und die findet auch, daß ihr Mann ein ganz besonders hübscher ist: „Er ist einfach lieb.“ JaF & Tak

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