Unruhen in Syrien: Mit Panzern gegen den Protest
Daraa, die Stadt im Süden des Landes, wird von regimetreuen Kräften völlig abgeriegelt, die Kommunikation unterbrochen. Es ist die Rede von Dutzenden Toten.
KAIRO taz | Das syrische Regime hat seiner Demokratiebewegung endgültig den Krieg erklärt. Seit den frühen Morgenstunden rückten am Montag Armeeeinheiten mit Panzern von vier Seiten in die südsyrische Stadt Daraa unweit der jordanischen Grenze vor. Dort hatte der Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad vor fünf Wochen begonnen.
Was genau in der Stadt geschieht, ist schwer zu erkunden. Auf einigen am Montagvormittag von Aktivisten ins Internet gestellten Amateurvideos sind schwere Artillerieschüsse zu hören. "Sie feuern aus allen Richtungen", erzählt ein Aktivist am Telefon. "Von den Minaretten rufen die Muezzine um Hilfe. Die Sicherheitskräfte gehen von Haus zu Haus. Es gilt eine Ausgangssperre, und auf jeden, der sein Haus verlässt, wird geschossen. Sie schießen sogar auf die Wassertanks auf den Dächern, um sicherzustellen, dass uns das Wasser ausgeht", erzählt ein Augenzeuge.
Dann wird es mit der Kontaktaufnahme immer schwieriger. Der Strom in der Stadt wurde ebenso abgestellt wie das Handynetzwerk und die Festnetzanschlüsse. Die jordanische Grenze wurde geschlossen und die Straße von Damaskus in Richtung Daraa gesperrt. Der Ort mit 300.000 Einwohnern ist abgeschnitten. Das verheißt nichts Gutes wie die Tatsache, dass die Armeeeinheiten, die in Daraa im Einsatz sind, von Maher Assad, dem Bruder des Präsidenten, kommandiert werden. Nach Angaben aus der Protestbewegung wurden bis Montagmittag mindestens 39 Menschen getötet.
Zuvor hatten Aktivisten Daraa als "befreites Gebiet" bezeichnet, nachdem sich die Sicherheitskräfte vollständig aus der Stadt zurückgezogen hatten. Zwei örtliche Parlamentsmitglieder und ein von der Regierung bestellter hoher Geistlicher aus der Stadt traten am Wochenende zurück. Es war ein Zeichen des Protests gegen das Vorgehen der bewaffneten Regimekräfte, die bei einer Beerdigung in der Umgebung der Stadt auf die Trauergemeinde schossen. Die Opfer waren am Freitag, dem bisher blutigsten Protesttag, ums Leben gekommen.
Auch in Duma, einem Vorort von Damaskus, gingen die Sicherheitskräfte am Montag wieder brutal und mit scharfer Munition gegen die Demonstranten vor. Nach ähnlichem Muster wie in Daraa wurde das Viertel vom Rest der Stadt durch Straßensperren abgeschnitten, bevor dort eine Verhaftungswelle begann.
Auch aus Jeblah, unweit der Küstenstadt Lattakiya, wurden Auseinandersetzungen gemeldet. Die 80.000-Einwohner-Stadt wird zum großen Teil von schiitischen Alawiten bewohnt, der auch Assads Familie angehört und die fast alle wichtigen Posten im Staat besetzen. Ein Anzeichen dafür, dass die Unterstützung Assads in seiner eigenen Religionsgruppe bröckelt. "Maskierte bewaffnete Männer ziehen durch unsere Straßen", berichtet ein Augenzeuge aus der Stadt, die von Sicherheitskräften umstellt sein soll. "Die Toten liegen in den Häusern und den Moscheen, und keiner kann sie abholen", berichtet er am Telefon der Nachrichtenagentur AP.
Mit Beginn dieser Woche scheint sich das Regime entschieden zu haben, für sein Überleben alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen und die Sicherheitsapparate von der Leine zu lassen. Damit könnte das Regime die Menschen so verängstigen, dass sie in ihren Häusern bleiben, oder sie könnten das Gegenteil erreichen, wenn die Wut mit jedem toten Demonstranten noch mehr steigt. Wie in allen anderen arabischen Revolutionen ohne politische Führung schwankt die Reaktion der syrischen Demonstranten zwischen Angst und Trotz.
Bisher sind mehr als 300 Menschen bei den Protesten ums Leben gekommen. Aber jeder Versuch des Regimes, den Aufstand unter Kontrolle zu bringen, hat bis zum jetzigen Zeitpunkt dazu geführt, dass die Demonstranten ihre Angst noch mehr verloren haben. Inzwischen rufen sie offen zum Sturz des Regimes auf. Eine Syrerin, die den Aufstand seit fünf Wochen aufmerksam beobachtet, kommentiert: "Das Regime setzt jetzt alles ein, und die Leute gehen trotzdem auf die Straße. Der Punkt ist erreicht, an dem es keine Rückkehr mehr gibt."
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