Unruhen in Pakistan: Widerstand gegen Notstand
Musharraf rüstet auf, Anwälte und Oppositionelle protestieren. Die Polizei inhaftiert 1.600 Oppositionelle in Haft - viele von ihnen sind Anwälte.
Zwei Tage nach Erklärung des Notstands ist es am Montag in Pakistan erstmals zu größeren organisierten Protesten gekommen. Sie entzündeten sich zumeist vor den Landesgerichten und wurden von den Anwaltsverbänden organisiert, die im Verlauf dieses Jahrs zur Speerspitze der Opposition gegen Militärmachthaber Pervez Musharraf geworden sind.
Das Vorgehen des pakistanischen Machthabers Musharraf ist auf scharfe Kritik bei den Regierungsfraktionen von Union und SPD gestoßen. Sollte der Präsident nicht umgehend zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehren, dann müsste dies "von deutscher Seite mit einer grundlegenden Revision der Rüstungsexporte nach Pakistan beantwortet werden", forderte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), gestern in Berlin. "Das gilt insbesondere für die Lieferung deutscher U-Boote." Die Niederlande haben die Entwicklungshilfe an Pakistan eingefroren. Der Schritt ziele darauf ab, Musharraf zu bewegen, verfassungsmäßige Verfahren wiedereinzuführen. UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour hat die Beschränkung der Justiz am Montag kritisiert. Besorgt sei sie vor allem über Berichte, nach denen führende Richter, Anwälte sowie Menschenrechts-Aktivisten festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden seien. "Ein Ausnahmezustand sollte nur genutzt werden, um mit einer schlimmen Bedrohung der Sicherheit für die Nation fertigzuwerden, aber nicht, um die Unversehrtheit und Unabhängigkeit des Justizsystems zu untergraben", hieß es in einer Erklärung Arbours. AFP, AP, DPA
Nachdem am Wochenende Musharraf die Polizei vor allem zum Schutz der Staatsgebäude in Islamabad eingesetzt hatte, erreichte die Staatsgewalt am Montagmorgen auch die Provinzhauptstadt Karatschi. "Mehrere hundert Anwälte wollten vom Obersten Provinzgericht zum Presseklub ziehen, um ihre Solidarität mit den inhaftierten Kollegen und der strangulierten Presse zu zeigen", so Shahid Shah von der Tageszeitung The News. Doch der Versuch, die in der suspendierten Verfassung garantierten Rechte wahrzunehmen, endete blutig. "Mehrere Dutzend wurden verletzt. Die Polizei ging mit Schlagstöcken vor, und viele wurden in Polizeiwagen abtransportiert", erklärt Shah.
In Lahore trieb die Polizei mit Tränengas und Stockhieben eine Versammlung von rund 2.000 Anwälten und Gerichtsbeamten auseinander, als diese eine Resolution gegen den Ausnahmezustand verabschieden wollten. Rund 250 Personen wurden verhaftet. Kleinere Demonstrationen, gefolgt von Verhaftungen, gab es auch in Rawalpindi und Multan.
In der Hauptstadt Islamabad verhinderte die massive Präsenz von Polizei und paramilitärischen Rangers auch gestern jede Versammlung. Insgesamt sollen nach Oppositionskreisen inzwischen mehr als 1.600 Personen festgenommen worden sein. Bereits am Sonntag waren 500 unter Arrest genommen worden. Zu den Verhafteten gehören auch zahlreiche Anhänger der islamistischen Jamaat Islami, die bestorganisierte pakistanische Partei, die bereits am Sonntag ihre Kader auf die Straßen gebracht hatte.
Jetzt rechnen viele in der Bevölkerung mit einer weiteren Verschärfung der Lage, gibt es doch in Pakistan eine Tradition von Militärputschen. "Im Zusammenhang mit der Schließung privater Radio- und Fernsehsender erinnert vieles an den Putsch von General Zia-ul Haq gegen Zulfikar A. Bhutto vor 30 Jahren", so Nadjia Jamil, Tänzerin und Schauspielerin. Für Jamil war Zias Diktatur schlimmer, weil er die Kultur und das Gedächtnis des Landes zerstörte. Und dennoch: "Musharraf erntet die Saat Zias, weil Kultur, Geschichte und freies Denken nie ermuntert wurden zurückzukehren. Während sich am Ende von Zias Diktatur eine breite Massenbewegung bildete, sind die Massen heute paralysiert", so Jamil.
Die allgemeine Nervosität und Unsicherheit im Land äußern sich in zahlreichen herumschwirrenden Gerüchten, die durch das Fehlen verlässlicher Nachrichten noch mehr Nahrung erhalten. Der Militärmachthaber hatte am Samstag als eine der ersten Maßnahmen die Schließung der privaten TV-Sender verfügt und wurde nun zum ersten Opfer von Falschnachrichten. Das Gerücht, wonach er von der Armee unter Hausarrest genommen wurde und sein Stellvertreter, General Kayani, die Macht übernommen habe, führte zum Sturz der Kurse an der Börse von Karatschi. Sie erholten sich erst wieder, als Musharraf selbst über die Agentur Reuters verlauten ließ, dies sein "ein Scherz allererster Güte".
Auch um die Rolle von Benazir Bhutto gibt es zahlreiche Mutmaßungen. Nach ihrer Rückkehr aus Dubai am Samstagabend fand sie zwar starke Worte gegen die Ausrufung des "Kriegsrechts" und bedauerte den "schweren Rückschlag für die Demokratie". Beobachtern fiel allerdings auf, dass Bhutto auf jede direkte und persönliche Kritik Musharrafs verzichtete. In einem BBC-Interview weigerte sie sich, Gespräche mit Musharraf auszuschließen, was prompt Gerüchten Auftrieb verlieh, dass sie plane, nach Islamabad zu fliegen. Bhutto befindet sich in einer Zwickmühle. Sie steht unter starkem Druck ihrer Volkspartei PPP, die Ränge der Opposition zu schließen und persönlich Straßenproteste anzuführen. Damit riskiert sie allerdings erneute Verhaftung oder Exil und damit das Ende ihrer Hoffnungen, in der Politik des Landes wieder Fuß zu fassen.
Auf einer Pressekonferenz am Sonntag hatte Premierminister Shaukat Aziz erklärt, das Ausnahmerecht sei kein Kriegsrecht, da die Regierung weiterhin im Amt sei und auch die Parlamente nicht aufgelöst worden seien. Die Parlamentswahlen könnten allerdings bis zu einem Jahr verschoben werden. Am Montag trat Musharraf dieser in den Medien weit verbreiteten Äußerung entgegen und erklärte, das Januar-Datum für die Neuwahlen bleibe bestehen. Aziz ist ein Mitglied der Regierungspartei Muslim-Liga(Q), von der bekannt ist, dass sie Parlamentswahlen möglichst lange aus dem Weg gehen möchte. Am Montagnachmittag ist dann Aziz auf die Musharraf-Linie eingeschwenkt. Die Parlamentswahlen sollen trotz des Ausnahmezustands wie geplant stattfinden, sagte er laut staatlichen Medienberichten.
Mitarbeit: N. Rosemann, Karatschi
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