Unruhen in Nigeria: Friedliche Wahl, unfriedliche Anfechtung
Im muslimischen Norden kommt es nach dem Sieg von Präsident Jonathan zu Ausschreitungen. Und jetzt stehen auch noch konfliktträchtige Provinzwahlen an.
LAGOS taz | 35.000 Flüchtlinge hat Umar Marigar vom Roten Kreuz in Nigerias Hauptstadt Abuja bereits gezählt. 35.000 Menschen, die seit den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Samstag versuchen, sich irgendwie vor den anhaltenden Unruhen in Sicherheit zu bringen. Dazu kommen 375 Verletzte und nach Schätzungen verschiedener Medien rund 80 Tote in mehreren großen Städten Nordnigerias. Dabei ist der nigerianische Wahlmarathon noch nicht einmal vorbei.
Am kommenden Dienstag können gut 73 Millionen registrierte Wähler über ihre Gouverneure in den 36 Bundesstaaten sowie die Landesparlamente abstimmen. Die Gouverneure haben viel politische Macht. Deshalb konnten sie beispielsweise in den mehrheitlich muslimischen Bundesstaaten des Nordens ab 2000 unbehelligt von landesweiter Kritik die islamische Scharia-Gesetzgebung einführen.
Klaus Pähler, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Abuja, schätzt den 26. April deshalb als "kritischsten Wahltag" ein. "Es geht um viel. Und Wahlen auf lokaler Ebene lassen sich leichter manipulieren."
Eigentlich hatte alles gut ausgesehen
Noch bis zum Samstag hatte alles gut ausgesehen. Vielen Nigerianern saß noch die Erinnerung an die Wahlen im Jahr 2007 in den Knochen, als es in vielen Landesteilen zu massiver Manipulation und Einschüchterung gekommen war und hunderte von Menschen durch Gewaltakte starben. Doch dieses Jahr verlief die Präsidentschaftswahl friedlich, Beobachter bezeichneten sie als weitgehend frei und fair, und viele Wähler jubelten. "Es ist ein ganz tolles Gefühl, den Kandidaten wählen zu können, für den mein Herz schlägt", strahlte etwa der 24-jährige Salim Rabe Nasir, als er zum ersten Mal in seinem Leben den langen Stimmzettel in die Wahlurne gesteckt hatte.
Doch seit Sonntagmorgen, als sich immer deutlicher der Wahlsieg des Amtsinhabers Goodluck Jonathan von der regierenden PDP (Peoples Democratic Party) abzeichnete, eines Christen aus dem Nigerdelta im Süden des Landes, brennen im überwiegend muslimisch geprägten Norden Häuser, Autoreifen und Kirchen. Der Norden hat mehrheitlich für Muhammadu Buhari vom CPC (Congress for Progressive Change) gestimmt, Muslim und Exmilitärdiktator aus dem Norden. So fühlen sich viele Menschen im Norden betrogen und rechnen mit Fälschungen im großen Stil wie bei früheren Wahlen.
Die Auseinandersetzungen sind aber kein Kampf der Religionen, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. Es geht einfach um Macht. Und um den Regierungsstil, den Jonathan modernisieren will, während im Norden noch traditionelle autoritäre Herrschaftsformen üblich sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen