Unruhen in Kaschmir: Die Nerven liegen blank
Nach Jahren relativer Ruhe eskaliert wieder die Gewalt. Fast täglich gibt es Tote. Kaschmirs Ministerprädident Abdullah fordert, dass Indiens Paramilitärs bleiben sollen.
Schwer bewaffnete Polizisten stehen im gesamten Stadtgebiet von Srinagar, der Hauptstadt des indischen Teils von Kaschmir. Einige von ihnen prügeln mit Schlagstöcken auf Transportjeeps ein, die auf Kreuzungen stehen bleiben, um Passagiere abzusetzen. Andere schlagen auf Passanten ein, um kleinere Gruppen aufzulösen. Die Nerven liegen blank.
Erst einen Tag zuvor war es überall in der Stadt zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Am Mittwochmorgen war die Leiche des 19-jährigen Studenten Asrar Mushfaq mit aufgeschnittener Kehle in der Altstadt gefunden worden. Mushfaq war fünf Tage zuvor verschwunden.
Indizien für ein Verbrechen durch Sicherheitskräfte gibt es offenbar nicht. Stattdessen soll der Student Opfer eines Streit sein. Dennoch machten Lokalpolitiker indische Paramilitärs verantwortlich und riefen zu einem landesweiten dreitägigen Proteststreik auf.
Beim Trauerzug am Mittwoch lieferten sich Demonstranten in der ganzen Stadt Straßenschlachten mit Sicherheitskräften. Entlang der Strecke des Trauerzugs überfielen mit Stahlstangen bewaffnete Männer Restaurants und Geschäfte, die dem Streikaufruf nicht gefolgt waren. Sie zerstörten Inventar und verprügelten Angestellte. Es war das erste Mal, das es zu solchen Übergriffen kam. Mehr als 50 Menschen wurden verletzt.
Nach Jahren relativer Ruhe eskaliert zurzeit in Kaschmir die Gewalt. Erst am Montag warf ein Unbekannter bei einer Demonstration im Zentrum Srinagars eine Granate auf Polizisten. Fünf Personen wurden verletzt. Die neue Gewalt setzte Ende Mai ein. Damals wurden in Shopian im Süden Kaschmirs die Leichen von zwei jungen Frauen in einem Fluss entdeckt. Anwohner machten Sicherheitskräfte für den Tod der Frauen verantwortlich. Erst nach Protesten leiteten die Behörden eine Untersuchung ein. Laut dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht wurden die Frauen von Sicherheitskräften vergewaltigt und ermordet. Ob es sich bei den Tätern um Paramilitärs oder Angehörige der lokalen, fast nur aus Kaschmirern bestehenden Polizei handelt, erklärten die Behörden nicht.
Und die Lage spitzt sich weiter zu. Am Donnerstag erklärten Behördenvertreter, am Mittwochabend sei eine Frau im Distrikt Kupwara gestorben, nachdem Soldaten nach gewalttätigen Protesten mehrere Häuser gestürmt und auf Einwohner eingeprügelt hätten. Lokalpolitiker haben zu Protesten am 13. Juli aufgerufen.
Angesichts der zunehmenden Gewalt appellierte Kaschmirs Ministerpräsident Omar Abdullah für den Verbleib der indischen Paramilitärs. Die Regierung in Delhi hatte vor vier Wochen angekündigt, sie werde die Sondereinheiten aus Kaschmirs Städten abziehen. Seitdem nahm die Gewalt deutlich zu. Womöglich versuchen radikale Kräfte in Kaschmir, den Verbleib der Paramilitärs zu erzwingen, um ein Abebben des sie begünstigenden Konflikts zu verhindern.
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