Unproduktiv sein: Chill mal!
Sogar Ameisen, die eigentlich immer mit zu viel Gepäck umhereilen, können nichts tun. Nur ich nicht. Wie chillt man also richtig?
E s geht gleich mal unsympathisch los: Ich bin schlecht im Chillen. Selbst wenn ich es mir vornehme, fallen mir zig Dinge ein, die ich stattdessen machen könnte. Im Regen joggen oder das Eisfach abtauen zum Beispiel. Ich kann nicht gut ausschlafen und wenn ich zu Hause ein Yogavideo nachturne, schalte ich vorm Shavasana, der Endentspannung, ab. Bei McKinsey wären sie stolz auf mich.
Meine 24 Stunden wollen effizient vollgestopft werden, sonst fühle ich mich nutzlos. Etwas machen, das gar keinen Sinn hat, das weder kreativ noch sportlich ist oder mit sozialen Verpflichtungen verbunden, diese pure Unproduktivität bringt einem keiner bei.
„Chill mal!“, das habe ich oft gehört, aber bisher verpuffte dieser Ratschlag. So muss das mit vielen Dingen sein, die ich spontan ablehne, weil ich sie nie gelernt, ausprobiert oder darüber nachgedacht habe: bewusst schreien, die Eizellen einfrieren, Erbsenmilch trinken. Also bekomme ich fortan jeden Monat einen Rat. Und teste: Ist das Fortschritt, ist das Bullshit oder sogar Rebellion?
Forscher:innen haben beobachtet, dass sogar Ameisen, die eigentlich immer mit zu viel Gepäck umhereilen, nichts tun können. Vierzig Prozent von ihnen sitzen einfach so rum. Sie empfinden weniger Dringlichkeit, Aufgaben zu erledigen. Der Schwellenwert, ab dem sie anfangen zu arbeiten, liegt höher als bei den Ameisen, die sich den ganzen Tag abrackern. Erst im Notfall legen sie los und sorgen so dafür, dass ihre Kolonie resilient bleibt.
Das ist fast wie mit dem Eisfach bei uns. Entsteht darin eine daumendicke Schicht Eis, klopfe ich diese samt der festgefrorenen Dillreste raus, gerne auch um 22 Uhr. Meine Mitbewohnerin würde sich erst ums Abtauen kümmern, wenn eine ganze Eisscholle samt Eisbären unser Tiefkühlfach belegt. Sie ist unsere stille Reserve, für den Fall, dass ich zusammenklappe. Ich, die dumme Arbeitsameise, die sich selbst ausbeutet.
Ich gehe in eine Bibliothek, hier hängen Teenies nach der Schule rum, spielen Computer und tun so, als würden sie lernen. Sie müssen am besten wissen, wie man chillt. Mit 15 sind die Sorgen klein und die Freizeit ist groß. Ich setze mich dazwischen. Zwei Mädchen versinken so tief in den Sesseln wie in ihren Handys. In ihrer Mitte stehen Erdbeeren und Energydrinks. Sie wollen gleich lernen, aber erst mal kurz erholen. Und wie? „Mit Tiktok“.
Ich frage weiter: „Musik hören“, „Ins Bett legen“, „Die Augen schließen“, „Eine Serie schauen“, „Musik hören“, „Kiffen“, „Musik hören“.
„Mit dem Bus extra zu weit fahren“, sagt ein Mädchen dann. Einfach sitzen bleiben, obwohl man danach wieder zurück muss. Völlig sinnlos und unproduktiv – ideal.
„Je besser man prokrastinieren kann, desto chilliger wird’s“, sagt ein 17-Jähriger. Er hat heute angefangen, für die Klausur morgen zu lernen. „Verdrängen, das ist wie Wellness fürs Gehirn.“ Die Freundin neben ihm, ordentlicher Pferdeschwanz, wahrscheinlich baldiges Einser-Abitur, hat einen Profitipp: „Schon mal von einem Third Place gehört?“ Ne. Ich soll mir einen Ort zum Chillen suchen, der nichts mit der Arbeit zu tun hat und nicht mein Zuhause ist, weil da Eisfächer und andere Verpflichtungen lauern. Ein Café, eine Wiese, eine Parkbank. Vielleicht zählt auch die Couch von Freunden? In Gesellschaft entspanne ich gerne mal.
Aber eine 14-Jährige erklärt mir: „Es gibt einen Unterschied zwischen Abhängen und Chillen.“ Abhängen, das macht man mit Freunden. So richtig chillen, das geht besser allein. Dann bleibe ich heute wohl im Bus sitzen. Oder morgen.
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