Unmotivierte Lehrlinge: Früh aufstehen? Pünktlich sein?
Ausbildungsunternehmen sind immer häufiger mit unmotiviertem Nachwuchs konfrontiert - doch durch den demografischen Wandel werden die Azubis knapp.
BERLIN taz | Eigentlich müsste dieser Ausbildungsplatz attraktiv sein: Einzelhandelskaufmann in einem Elektroladen, mit Fernsehern, Radios, CD-Spielern. Doch diese Lehrstelle, die Geschäftsführer André Schumacher vom Miarka Profi-Service in Berlin anbietet, blieb in diesem Jahr unbesetzt. "Es fehlen geeignete Bewerber", sagt Schumacher. Und das in einer Viermillionenstadt.
Schumacher ist nicht der einzige mittelständische Unternehmer mit diesem Problem. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird am heutigen Montag eine bundesweite Bilanz mit einem Plus an Ausbildungsverträgen vorstellen. Für die Betriebe vor Ort aber verschärft sich der Mangel an BewerberInnen. "Es gibt eine steigende Zahl von Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können", sagt Thilo Pahl, Ausbildungsexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Durch die doppelten Abiturjahrgänge erwarten Handwerk und Industrie kaum Zuwachs. In Ländern wie Bayern und Niedersachsen, wo es bereits doppelte Jahrgänge gibt, suchen trotzdem viele Unternehmen immer noch Auszubildende. Denn AbiturientInnen wollen in der Regel studieren.
"Es fehlt an Grundtugenden"
Entscheidend ist der demografische Rückgang an Jugendlichen. In diesem Jahr sank die Zahl der SchulabgängerInnen mit Haupt- oder mittlerem Schulabschluss im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent. Und damit verändert sich der Pool an jungen Leuten, aus denen die Firmen ihren Nachwuchs rekrutieren können. "Die Unternehmen müssen heute als mögliche Bewerber auch Jugendliche ins Blickfeld nehmen, die sie früher gar nicht erst eingeladen hätten", berichtet Pahl.
Die Folge ist ein Kulturschock auf beiden Seiten. Bei den Betrieben entsteht der Eindruck, die jungen Leute von heute wären unzuverlässiger als früher. Im Rahmen einer regelmäßig wiederkehrenden Umfrage des DIHK in Betrieben erklärte eine gestiegene Zahl von Unternehmen, den SchulabgängerInnen von heute mangele es an Leistungsbereitschaft und Disziplin. "Es fehlt zunehmend an den Grundtugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit", sagt auch Miarka-Geschäftsführer Schumacher. Er hat erlebt, dass sich Auszubildende nur noch per SMS krank meldeten und wie selbstverständlich immer mal wieder ohne jede Entschuldigung zu spät zur Arbeit kamen.
"Mein Sohn geht nicht umsonst arbeiten"
Aber auch für die jungen Leute ist der Beginn der Ausbildung ein Kulturschock. "Eine betriebliche Ausbildung mit 40 Stunden in der Woche, wenn man vielleicht jeden Tag um sechs Uhr früh raus muss - das ist härter als eine schulische Ausbildung oder ein Studium", sagt Dilek Intepe-Sachse, zuständig für die "passgenaue Vermittlung" von Lehrstellen bei der Berliner Handwerkskammer. Dass es an Ausbildungsvergütungen oft weniger gibt als die Hartz-IV-Bezüge und auch die sogenannten Einstiegsqualifizierungen nur mager bezahlt werden, hebt auch nicht gerade die Motivation. "Wir erleben Jugendliche, wo die Eltern sagen: Mein Sohn geht nicht umsonst arbeiten", erzählt Astrid Sammet, Sozialarbeiterin bei der Berufsberatung JobInn in Berlin.
Sammet bemüht sich, bei den Mittelständlern Jugendliche unterzubringen, auf deren Zeugnissen mitunter viele unentschuldigte Fehltage und bedenkliche Kopfnoten für das Sozialverhalten stehen. "Aufgrund des Bewerbermangels geraten Jugendliche in den Fokus der Betriebe, die vor fünf, sechs Jahren gar keine Chance gehabt hätten", berichtet Sammet.
Niedrige Toleranzgrenze gegenüber Stress
Geschäftsführer Schumacher hat für dieses Jahr 60 schriftliche Bewerbungen bekommen, davon hatte er 40 gleich aussortiert, weil die Unterlagen grobe Fehler enthielten. Von den 20 Eingeladenen erschienen nur 10 zum Gespräch, einer hat dann eine Lehre zum Informationselektroniker begonnen. Die Lehrstelle zum Einzelhandelskaufmann aber ist nach wie vor frei.
Manche Jugendliche hätten eine niedrige Toleranzgrenze gegenüber Stress. Eine große Rolle spiele auch das private Umfeld, sagt Sammet. Viele der jungen Leute kriegen aber mit 20, 21 Jahren doch noch die Kurve, "da macht es dann plötzlich ,klick', die merken, dass sie mit Hiwi-Jobs nicht weit kommen. Wenn dann auch im Bekanntenkreis alle was machen, dann steigt die Motivation", berichtet die Sozialarbeiterin. Auch Schumacher hat ein Herz für biografische Umwege. Einer seiner besten Azubis, den er nach einem Vorpraktikum übernahm, ist 27 Jahre alt.
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