"Unmittelbarer Zwang" mit Kabelbindern: Tod im Polizeigewahrsam
Nach dem Tod des Afrikaners Oury Jalloh im Polizeirevier von Dessau, erregt ein zweiter merkwürdiger Todesfall die Öffentlichkeit: In Hagen starb ein von Beamten gefesselter Deutschtürke.
HAGEN taz Die türkischen Medien urteilten schnell. "Türke brutal niedergeschlagen" titelte Türkiye, "Deutscher Terror" kommentierte Takvim, "Deutsche Polizei schlägt türkischen Jugendlichen ins Koma", schrieb die Zeitung Vatan über Adem Özdamar aus Hagen. Der Deutsch-Türke war am 17. Februar bei einer Auseinandersetzung mit Polizisten auf der Wache an der Hagener Prentzelstraße kollabiert und in ein Koma gefallen, aus dem er nie wieder erwachte. Özdamar starb am 5. März an einem Gehirnödem.
Dabei hatte der 26-Jährige zuvor selbst die Polizei alarmiert: Er werde von zwei Schwarzafrikanern verfolgt, soll er zuvor - wohl unter massivem Kokaineinfluss - gegenüber seiner Mutter erklärt haben. Die herbeigerufenen Polizisten sagen, sie hätten Özdamar mit nacktem Oberkörper und in "verwirrtem Zustand" angetroffen. Auf eigenen Wunsch sei der Deutsch-Türke mit zur Wache gefahren, schon während der Fahrt sei ein Krankenwagen angefordert worden, so die Darstellung der Beamten.
Auf der Wache aber habe Özdamar, randaliert und sei "völlig durchgedreht", so der Hagener Oberstaatsanwalt Reinhard Rolfes zur taz. "Der ist plötzlich über den Tresen gesprungen, hat einem Polizisten sogar den Finger gebrochen." Insgesamt sieben Polizisten hätten daraufhin "unmittelbaren Zwang" anwenden müssen - Özdamar wurde mit so genannten Kabelbindern aus Plastik gefesselt.
Özdamars älterer Bruder Salih erhebt deshalb schwere Vorwürfe gegen die beteiligten Beamten. "Die haben ihn totgeschlagen", steht für ihn fest. Der Bruder des Toten verweist auf einen ersten Bericht der Dortmunder Gerichtsmedizinerin Eva Schmidt, in dem "Hämatome über der linken Augenbraue sowie am rechten Oberlid" als "Ausdruck einer stumpfen Gewaltanwendung von außen" beschrieben werden.
Auch habe die zur Wiederbelebung Özdamars in die Prentzelstraße gerufene Notärztin spekuliert, ihr Patient sei "möglicherweise mit dem Kopf gegen eine Wand geschlagen" worden. "Es hat allein drei Minuten gedauert, die Fesseln meines Bruders durchzuschneiden", sagt Salih Özdamar. "In dieser Zeit hat sein Herz nicht geschlagen. Wissen Sie, was mit einem Gehirn passiert, dass drei Minuten nicht mit Sauerstoff versorgt wird?"
Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung in der türkischen Community Hagens. Bei einem Trauermarsch von rund 600 Menschen, der mit einer Kranzniederlegung vor der Polizeiwache Prentzelstraße endete, waren auch vereinzelte "Mörder"-Rufe zu hören.
Nur vorsichtig äußert sich der Hagener Anwalt der Familie, Jürgen Klenk. Immerhin sind knapp 14 Prozent der Hagener Migranten, ein Drittel davon hat Wurzeln in der Türkei -- und deren Stimmungslage fürchtet die Hagener Polizei zur Zeit besonders. "Sie werden verstehen, dass mir die Staatsanwaltschaft derzeit bei jeder meiner Äußerungen genau auf die Finger schaut", sagt Klenk. Der Anwalt will "keine Schuldzuweisungen" vornehmen, bevor nicht das offizielle Obduktionsergebnis der zuständigen Dortmunder Gerichtsmedizin vorliegt. "Noch weiß kein Mensch, woran Adem Özdamar gestorben ist", sagt Klenk.
Aufklärung bringen könnte auch eine weitere Obduktion, die gerade in der Türkei vorgenommen wird. Özdamars Familie hat die Leiche ausfliegen lassen. Die Hagener Staatsanwaltschaft jedenfalls bleibt bei der Darstellung, die sie schon Stunden nach Özdamars Tod bezogen hat: "Wir haben keine Gewaltanwendung über das, was über die Fixierung hinaus nötig erforderlich war, feststellen können", sagt Staatsanwalts-Sprecher Rolfes.
Warum aber Özdamar trotz Herzstillstands auf dem Bauch liegend gefesselt blieb, sagt Rolfes nicht. Deshalb bekommt er zunehmend Druck von politischer Seite. Schon in der vergangenen Woche hat die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestags, Herta Däubler-Gmelin (SPD), Post von ihrem türkischen Amtskollegen Zafer Üskül bekommen -- und gilt mittlerweile als schwer verärgert: Nicht nur die ehemalige SPD-Bundesjustizministerin fragt sich, warum die Hagener Staatsanwälte für ihren Abschlussbericht so lange brauchen.
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