Universität: Wissenschaft in Warteschleife
Die Juniorprofessur wurde 2002 mit dem Versprechen eingeführt, dem Nachwuchs neue Karrierewege zu eröffnen. Stattdessen gibt es vor allem Unsicherheit.
Stephan van Gasselt seufzt. „Ich kann nicht ruhig schlafen“, sagt der Wissenschaftler. Seit einem Jahr trägt er die alleinige Verantwortung für die Arbeitsstelle Planetologie und Fernerkundung an der Freien Universität Berlin sowie für die 25 Mitarbeiter. Das heißt: Drittmittel einwerben, Papierkram erledigen und die Arbeitsgruppe leiten. So gedacht ist das nicht, van Gasselt ist Juniorprofessor. Eigentlich soll er sich um seine Forschung kümmern, um sich so für eine Lebenszeitprofessur zu qualifizieren.
Vor einem Jahr aber verließ der Planetologie-Professor Gerhard Neukum das Institut, seine Stelle blieb vakant. Der Bereich ist seitdem im Umbruch, seine Zukunft ungewiss – genauso wie die van Gasselts. Im April 2016 endet dessen sechsjährige Anstellung als Juniorprofessor. „Ich habe hier an der Uni derzeit keine Zukunftsaussichten“, sagt der 40-Jährige.
Für die Freie Universität sind die Juniorprofessoren primär billige Arbeitskräfte, die sie temporär einsetzen kann. Sie kosten weniger als Vollprofessoren, machen fast den gleichen Job und sind flexibel. Als die Juniorprofessur eingeführt wurde, war das jedoch so nicht gedacht.
Das Modell wurde 2002 als Alternative zum alten Karriereweg Habilitation geschaffen, die als zeitraubend galt. Die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlman (SPD) wollte vor allem der zunehmenden Abwanderung von jungen Wissenschaftlern ins Ausland begegnen und deren Qualifikationszeit verkürzen. Das hat durchaus Vorteile: Nachwuchswissenschaftler können schon früher den Titel „Professor“ tragen, außerdem können sie schneller selbständig arbeiten, weil sie keinem Professor untergeordnet sind.
An der FU ist das Modell beliebt: Mittlerweile tragen 100 der 460 Professoren einen auf sechs Jahre befristeten „Junior“ vor dem Titel.
Die Juniorprofessur sollte jedoch auch neue Karrierechancen eröffnen und Planbarkeit ermöglichen. Buhlman versprach 2001 im Bundestag: „Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können so ihre berufliche Laufbahn besser planen. Auch damit schaffen wir internationale Vergleichbarkeit sowie mehr Wettbewerbsfähigkeit.“
Der angestrebte Wechsel von einer befristeten in eine dauerhafte Professur ist in Berlin nicht möglich. Van Gasselts Problem ist etwa, dass er der FU bisher so treu war, hier hat er bereits promoviert. Das Berliner Hochschulgesetz verbietet allerdings, dass ein Professor berufen wird, der an der gleichen Hochschule promoviert hat und als Juniorprofessor beschäftigt war. Dieses sogenannte Hausberufungsverbot soll verhindern, dass Professuren an einen hochschulinternen Klüngel vergeben werden.
Aber auch für die Juniorprofessoren der Freien Universität, die andernorts promoviert haben, ist die Aussicht auf eine Stelle in Dahlem sehr vage. An vielen ausländischen Universitäten haben die Nachwuchswissenschaftler die Aussicht auf eine unbefristete Professorenstelle, wenn sie sich bewähren – diese Option nennt man „Tenure-Track“. An der FU gibt es das nicht. Das Tenure-Track-Modell sei für die Uni nicht finanzierbar, sagt Präsidiumssprecher Goran Krstin. Nur im Einzelfall wird den Juniorprofessoren anschließend eine befristete Professur angeboten, bis eine reguläre Stelle frei wird – die meisten müssen gehen.
Die Universität profitiert davon, wenn ständig neue Juniorprofessoren kommen – die Fachbereiche können flexibler neue Forschungsprojekte einrichten. Der höhere Druck auf die Mitarbeiter wird in der Debatte sogar als Argument gegen Tenure Track genannt: Wenn klar ist, dass nach der Juniorprofessur eine Langzeitanstellung folgt, ginge für die Nachwuchswissenschaftler der Anreiz verloren, ehrgeizig zu arbeiten.
Eine Juniorprofessorin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, findet das absurd. „Diejenigen, die das entscheiden, sitzen selbst auf den Lebenszeitprofessuren“, sagt die frischgebackene Mutter.
Die Kurzfristigkeit und Unsicherheit, die mit dem System einhergehen, findet die 35-Jährige belastend, vor allem wegen des Kindes. „Freunde und Bekannte investieren in Bauprojekte, ziehen ins Grüne und sichern die Schulplätze für ihre Kinder“, sagt sie. „Aber man selbst ist immer noch stets auf Abruf.“ Schon bald wird sie sich wieder in den Bewerbungszirkus stürzen – lange vor Ablauf ihrer Anstellung. „Bis zum Ende zu warten wäre viel zu riskant. Die Berufungsverfahren dauern zu lange.“
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