Union und SPD reden Wirtschaftskrise klein: "Gegen Pessimismus-Orgien"
Zur Abwehr der drohenden Wirtschaftskrise fällt Union und SPD im Bundestag vor allem ein, dass Deutschland robust sei. Gysi trägt Forderungen von der EU-Kommission vor.
BERLIN taz Wo die große Koalition angesichts der drohenden Wirtschaftskrise 2009 ungefähr steht, machte am Dienstag im Bundestag der Abgeordnete Hans Michelbach (CSU) deutlich. Er sagte: "Die Situation darf nicht schlechter geredet werden". Man müsse "gegen Pessimismus-Orgien und Aktionismus-Forderungen einzelner vorgehen". Die Koalition sei mit ihrem Konjunkturprogramm "auf dem richtigen Weg, den müssen wir einheitlich beschreiten."
Nun war es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst, die die Haushaltswoche des Parlaments am Sonntag mit den gewiss nicht optimistischen Worten eingeläutet hatte: "Wir müssen damit rechnen, dass das kommende Jahr, zumindest in den ersten Monaten, ein Jahr schlechter Nachrichten wird."
Ökonomen aus dem In- und Ausland pflichten Merkel hier zwar lebhaft bei, ergänzen dies allerdings mit dem Vorwurf, dass sie nicht genug gegen die Rezession unternehme. Dagegen verteidigten die Redner der großen Koalition ihr Maßnahmenpaket namens "Beschäftigungsicherung durch Wachstumsstärkung" am Dienstag vor allem mit drei Argumenten.
Erstens: Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland seien robust. Zweitens: Große Konjunkturprogramme wirkten oft nicht wie erhofft. Olav Gutting (CDU) sagte: "Ein klassisches Konjunkturprogramm hat die Wirksamkeit des Regentanzes der Hopi-Indianer", nur sei Letzterer umsonst zu haben. Drittens: Deutschland sei anders. In den USA, in China oder Großbritannien möge der Staat zwar viel Geld in die Hand nehmen, um die Rezession zu bekämpfen.
Doch hierzulande, sagte etwa Reinhard Schultz (SPD), "sitzen die Bürger auf ihrem Geld. Das müssen wir mobilisieren." In China gebe es kaum privat Erspartes, "darum ist in China nur Staatsknete möglich", um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten. Das Paket der Koalition jedoch ziele darauf ab, mit kleineren Steuervorteilen größere private Investitionen anzuregen.
So wird die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen verdoppelt. Autokäufern wird für ein halbes Jahr die Kfz-Steuer erlassen. Unternehmen können etwa Maschinen besser von der Steuer absetzen. Kleine und mittlere Unternehmen bekommen mehr Möglichkeiten für Sonderabschreibungen. Zusammen kostet dies den Staat 4,1 Milliarden Euro in einem Jahr. Hinzu addiert die Regierung noch Maßnahmen, die nicht aktuell das Steuerrecht betreffen und teils längst geplant waren. So rechnet sie ihr Konjunkturpaket weit in den zweistelligen Milliardenbereich hinein.
Gemessen an den Summen, die derzeit in weit höher verschuldeten Staaten zur Bekämpfung der Krise genannt werden, nehmen sich die großkoalitionären Bemühungen dennoch gering aus. Linksfraktionschef Gregor Gysi rief am Mittwoch der Regierung zu: "Sie müssen aufhören zu kleckern und endlich klotzen!" Opposition macht wahrscheinlich Spaß, wenn man als Kronzeugen das gesamte ökonomische Establishment von EU-Kommission über Bundesbank bis Wirtschaftssachverständigenrat zitieren kann.
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