Union Berlin nach dem Nicht-Aufstieg: Doch 'ne runde Sache – irgendwie
Den Aufstieg in die 1. Liga hat Union Berlin verpasst. Zum Saisonabschluss in Fürth fuhren trotzdem jede Menge Fans. Unser Autor hat sie begleitet.
Zuletzt rauschte eine Art Infektwelle durch Köpenick und Umgebung: Massenhaft kamen wieder Tickets für das letzte Saisonspiel des Fußballzweitligisten Union Berlin auf den Markt, nachdem klar war, dass das mit dem Aufstieg in die Erste Liga doch nichts wird. Der Aufwand, fürs Saisonfinale am Sonntag ins bayerische Fürth zu fahren, war vielen Fans zu groß.
Vereinslegende Torsten „Tusche“ Mattuschka hatte das Abschneiden seines Teams fußballaffin so formuliert: „Vierter Platz ist wie vögeln, ohne zu kommen.“ So weit sind sie nun also schon bei Union: Sich kuschelig einnisten in der Zweiten Liga reicht nicht mehr.
Andererseits: Nicht wenige Anhänger der Eisernen würden Mattuschkas Spruch eher mit einem anderen Kalauer kontern: Essen ist der Sex des Alters. Eiserne Liebe nicht als Stressnummer, sondern als Wohlgefühl.
Für die „Kubik-Elfen“ gilt das auf jeden Fall. Diese „Fans mit Format“, wie sie sich selbst nennen, müssen mindestens hundert Kilo auf die Waage bringen (Frauen über 80). 2009 haben sie über einen Versorgungsengpass zusammengefunden: Es gab im Union-Shop keine Klamotten in ihrer Größe. Statt eine Diskriminierungsbeschwerde zu schreiben, gründeten sie einen Fanverein.
Die Kubik-Elfen bedienen die Klischees von den Dicken gleich mehrfach. Sie scheißen auf den Gesundheitswahn, dafür sind sie oft humorvoller als Nichtdicke, weil sie statt aufs Kalorienzählen mehr auf Gemütlichkeit achten. Dazu gehört für sie, natürlich nach Fürth zu fahren und die Tour mit einem Likörchen zu beginnen – einen Tag vorm Spiel, morgens um sieben.
Die Herrschaften in Rot-Weiß trudeln für die frühe Wochenendaufstehzeit erstaunlich gut gelaunt am Bus in Adlershof ein. Allgemeines Hallo. Neben dem selbst gemachten Kirschlikör geht auch ein weniger süßes Gerücht rum: Jens Keller könnte seinen Trainerjob hinschmeißen. Was? Ach je! Na ja, mal abwarten, und überhaupt, Union konnten schon ganz andere Sachen nicht umhauen.
Noch ’ne Hymne
Also einsteigen und los geht’s. Aus den Lautsprechern ein buntes Potpourri: Union-Hymne, Deep Purple, Andrea Berg, Dritte Wahl, Dschingis Kahn im Kessel-Buntes-Remix. Viel bejubeltes Highlight ist die eigene Kubik-Elfen-Hymne, kürzlich erst im Studio eingesungen.
Kurz darauf wird auf dem Rastplatz reichlich aufgetischt: fleischige „Herrentorte“, Kartoffelsalat, Bockwürste, kaum Grünzeug. Von nischt wird man keine Kubik-Elfe. So einer wie Moppi, eigentlich Holger Röstel, leitender Angestellter in der Tabakwirtschaft, seit 40 Jahren Union-Fan. Der 50-Jährige ist nicht nur gutbeleibt, sondern auch dauergutgelaunt, kann beim Thema „Union und verpasster Aufstieg“ jedoch auch kurz ernst werden. „In der Union-Geschichte gab es nur wenige Spiele, die zeigten, dass wir doch was reißen können. Normalerweise sind wir zufrieden, wenn wir nicht aufs Maul kriegen. Vor 20 Jahren gab es diese ‚Unaufsteigbar‘-Schals: blanker Fatalismus, nee, nicht mit mir.“
Moppi hält es da mit Tusches Vergleich vom unerfüllten Sex. Dass die Union-Spieler die letzte theoretische Chance auf den Aufstieg gegen Heidenheim so kläglich vergeben haben, hat er ihnen echt verübelt.
Wenn man darüber spricht, merkt man, dass das Aufstiegsthema doch einige Meinungsverschiedenheiten in der Union-Familie aufzeigt. Gemütlichkeit forever oder auch mal Attacke? Bei den Kubik-Elfen ist die Meinungsvielfalt sogar kategorisiert. Da gibt es die AJler (Aufstieg Jetzt), die AMler (mittelfristig) und AZler (zeitnah). Zeitnah heißt, wenn die Zeit reif ist, könnte also auch sein: nie.
Moppi ist AMler. „Wenn alles passt, muss man es auch mal erzwingen. Und wenn oben, dann nicht ein Jahr Urlaub, sondern längere Kur.“ Jan, der sein AJ-Bekenntnis groß auf dem XXL-Shirt trägt, übersetzt AM mit Absolutes Mittelmaß. Er findet Bedenken okay, zu viele jedoch blöd. „Es geht ja nicht nur um den Spielklassenwechsel, sondern um das Gesamtpaket, also auch den Stadionausbau und das Nachwuchsleistungszentrum. Keiner will Luftschlösser, hatten wir oft genug. Stagnation ist Rückschritt.“
3.000 neue Mitglieder
Sicher, die Diskussion um die neuen Fans, die sogenannten Eventies: 3.000 neue Mitglieder sind zum Verein gestoßen, seit es sportlich nach oben geht. „Aber man kann die doch nicht draußen stehen lassen und sagen: Du bist kein Unioner!“ Jan hofft, dass auch die Neuen von den alten Union-Werten infiziert werden. Im Onlineforum von Union artet die Debatte darüber manchmal wohl ein bisschen aus, aber hier im Bus läuft der Familienzwist entspannt ab.
Inzwischen ist es 13 Uhr und Franken nicht mehr weit. Nicht Fürth, sondern erst mal Bamberg. Wegen der weiten Anreise wurde der Auswärtstrip aufs Wochenende ausgedehnt, mit Stadtangucken und Kneipenrundgang. Geht ja nicht nur um Fußball. „Auswärts sind wir Eventfans“, sagt Sven, der Elfen-Schatzmeister. Feiern ist wichtig und Gemeinschaft für manche wohl wichtiger als der Fußball.
Kubik-Elfe René, einer der wenigen Nichturberliner, war ganz früher mal Dresden-Fan, hat sich nach den Fankrawallen jedoch abgewendet. „Ich hasse Gewalt und mag Gemeinschaftlichkeit.“ Das Mantra von der Union-Familie, die so toll ist und in der man sich immer hilft, geht Nichtfamilienmitgliedern ziemlich auf den Keks. Kennt man schließlich aus kleineren Familien, dass über ihnen viel die Sonne scheint und in ihnen die Verhältnisse lange Schatten werfen.
Davon hätte Doreen einiges zu erzählen. Alleinerziehend, drei Kinder (inzwischen groß), jetzt wieder mit Partner, der auch im Bus mitfährt. Die quirlige kleine Frau trägt eine rote Mütze, die nicht in erster Linie Union huldigt, sondern die Chemo-Folgen überdeckt. „Weihnachten standen plötzlich Unioner vor meiner Tür mit Tüten voll Schokolade, Büchern und gesammelten 900 Euro.“ Natürlich wusste sie als Unionerin, die in der Fanszene stark engagiert ist, wie die Klubfreunde ticken. Aber als sie es dann in der eigenen Not erlebte, „fehlten mir echt die Worte – und das kommt nicht häufig vor“.
Das haben schon viele Unioner zu spüren bekommen. Zum Beispiel rechte Arschloch-Union-Fans, die es selbstverständlich auch gibt. „Mit denen rede ich Klartext, aber ich versuche, die auch zu überzeugen. Da halte ich mich an Rosa Luxemburg: Man muss was machen, sonst würde die Welt ja nie besser werden.“ Deshalb hat Doreen auch in einer Flüchtlingsunterkunft in Köpenick mitgeholfen.
Am Sonntag in Fürth ist allerdings nur der Fußball wichtig. Rot-weiße Farben in der ganzen Stadt und später im Stadion. 3.000 bis 4.000 Berliner sind angereist mit Autos, Motorrädern, Bussen, Bahn. Einziges Ziel ist es, die am Ende zwar ausgefranste, aber doch sehr geile Saison wenigstens mit einer weiteren Serie abschließen: endlich mal beim Angstgegner in Fürth gewinnen (was mit 2:1 dann sogar geklappt hat) und nebenbei den Einheimischen zeigen, wie man eine dicke, rote Pyrowolke erzeugt.
Und es ging darum, der Mannschaft zu vermitteln: Aufstieg vermasselt, na ja, aber allet jut, im Großen und Ganzen.
„Scheiß auf Liga eins“
Im Kleinen fiel auf, dass der Union-Block in Braunschweig noch gesungen hat: „Scheiß auf Liga eins“. Der Chant blieb diesmal aus.
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