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Ungute symbiotische Beziehung

Betr.: Prozessberichte, taz bremen vom 9. und 11. 10.2002

Die Mutter habe „allerhöchsten Respekt verdient“, sie habe letztlich aus Liebe getötet, wird der Richter zitiert. Subtil schwingt mit, dies sei die einzige Lösung gewesen, das Heim hätte den Untergang für den behinderten Mann bedeutet. Es wird die Meinung sichtbar, dass behindertes Leben nicht bedingungslos schützenswert sei. Aber war nicht die ungute symbiotische Beziehung der Mutter zu ihrem autistischen Sohn das Hauptproblem, ihre Unfähigkeit ihn loszulassen? Sie hat zwei Anläufe gemacht, ihren Sohn von Professionellen betreuen zu lassen, von beiden Einrichtungen wurden diese Zeiten als positiv für Stephan geschildert. Doch weil er ihr Lebensinhalt war, konnte sie die Trennung nicht ertragen. Deshalb holte sie ihn wieder nach Hause, begründete dies zunächst mit mangelnder Ernährung, später kamen andere Vorwürfe wie sexueller Missbrauch hinzu. Für mich ist empörend, dass der Sicht der Mutter so gefolgt wurde. Die professionellen Betreuer wurden nicht gehört, die Überzeugung der Mutter, der Tod sei für ihren Sohn besser als jedes Heim, hingenommen. Es impliziert, dass Mutterliebe das Beste sei für behinderte Menschen und verkennt, dass sie auch tragisch enden kann. An einem anderen Punkt hat das Hilfesystem vermutlich versagt: Es wurde keine gesetzliche Betreuung eingerichtet, die die Entscheidung über den Lebensweg von Stephan aus der Hand der Mutter genommen und so auch zu ihrer Entlastung beigetragen hätte. Wer Stephan kannte, wird sich immer an sein verschmitztes Lächeln und seinen Humor erinnern und daran, wie viel er anderen geben konnte. Elke Hinrichsen, ehemalige Betreuerin von Stephan

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