Ungewöhnliche Werbemaßnahme: Fake News auf Staatskosten
Die staatliche PR-Agentur in Norwegen behauptet, eine Insel wolle die Zeit abschaffen. Viele Medien vermelden das – und fallen auf eine Ente herein.
So in etwa kann man sich das Brainstorming vorstellen, als PR-Profis in Norwegen folgende Geschichte ersannen: Die Bewohner der Insel Sommarøy, Sommerinsel, nördlich des Polarkreises, wollen eine „zeitlose Zone“ errichten. Sie schreiben eine Petition an die Regierung und entsorgen ihre Uhren am Geländer einer Brücke.
Ausgedacht haben sich das nicht etwa die Mitarbeiter einer privaten Werbeagentur, sondern die von „Innovasjon Norge“, der staatlichen Informationsagentur, die Norwegen im Ausland verkaufen soll. Von Spiegel Online bis zum Guardian, von China Daily bis zum Time-Magazin – rund um den Globus berichteten Redaktionen, selbst norwegische machten mit. Schließlich ist die aus Steuermitteln finanzierte Innovasjon Norge eine seriöse Quelle.
Dumm nur, dass die meisten Einwohner von Sommarøy nie von einer „zeitlosen Zone“ gehört hatten. Als der norwegische Rundfunk NRK begann nachzufragen, rückte Innovasjon Norge scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. Am vergangenen Freitag gestand man, dass es sich um eine von der Behörde initiierte Story gehandelt habe. Gleichzeitig brüstete man sich damit, dass man für gerade einmal umgerechnet 50.000 Euro, die die Kampagne – vermutlich einschließlich der Billiguhren am Brückengeländer – gekostet habe, binnen einer Woche 1.471 Medien weltweit hereingelegt hatte.
Es dauert, bis sich die ersten Medien berichtigen
Die Richtigstellung wurde von vielen Medien erst einmal übersehen. Erst als immer mehr Norweger „Innovasjon Norge“ aufforderten, sich offiziell zu entschuldigen, reagierten die ersten Medien. Bei Spiegel Online steht vor dem Text nun ein Disclaimer, die dpa rief selbst auf der Insel an.
Norwegische Medien reagierten entrüstet: „Steuergelder für Fake News? Nein danke!“, schrieb der digitale Mediendienst Medier24. Ähnlich sieht das Harald Klungtveit von Filter Nyheter: Am meisten Sorge müsse die anscheinend völlig fehlende Bereitschaft vieler Medien zur Faktenkontrolle machen. Selbst die Ministerpräsidentin Erna Solberg nahm Stellung: „Niemand soll falsche Nachrichten verbreiten, weder Medien noch „Innovasjon Norge“.
Für die PR-Agentur zuständig ist Wirtschaftsminister Torbjørn Røe Isaksen. Er kritisierte am Mittwoch, die Kampagne hätte man „niemals so“ machen dürfen. Allerdings war sein Ministerium vorab von „Innovasjon Norge“ informiert worden, man werde eine Nachricht verbreiten, „die kein wirklicher Wunsch ist, sondern ausländischen Besuchern von der Mitternachtssonne erzählen soll“. Bedenken hatte das Ministerium offenbar nicht.
Andere Tourismusanbieter jedenfalls fürchten schon böse Konsequenzen aus der Falsch-Meldung: „So etwas kann die Glaubwürdigkeit für die ganze norwegische Tourismusbranche zerstören.“ sagt „Hurtigruten“-Direktor Daniel Skjeldam.
Mittlerweile jedenfalls haben einige Insel-Bewohner Gefallen an der Idee gefunden. Man arbeite wirklich daran, als zeitfreie Insel anerkannt zu werden, erklärte der Leiter der Initiative jetzt gegenüber der dpa. Eine Petition gebe es wirklich, sie sei dem Parlament in Oslo auch schon vorgelegt worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär