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Ungestraft unter Palmen

Lustige Tropen: Stephan Wackwitz' ironischer Roman über Kultur, Macht, Liebe, Gutmenschentum und das Paradox der Autorschaft  ■ Von Jörg Lau

Jemand müßte endlich einmal einen Roman schreiben, in dem die rassistischen Ausschreitungen im neuen Deutschland vorkommen.

Es wäre außerdem darin zu zeigen, wie die Umtriebe des kulturellen Establishments der Bundesrepublik in den letzten Jahren sich dazu verhalten – am besten mit panoramatischem Blick von Anselm Kiefer und Gerhard Richter über Botho Strauß und Jürgen Habermas, Daniel Cohn-Bendit und Hartmut von Hentig bis zu Heiner Goebbels und Heiner Müller selig. Ein Stück jüngster deutscher Mentalitätsgeschichte im Roman, das den neuen Nationalismus und den Zug zum Erhabenen aufs Korn nimmt und zugleich zeigt, wie im Gutmenschentum Moralismus zur Karrierechance wird.

Möglichst wäre dabei auf Erkenntnisse von Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann zurückzugreifen, ohne allerdings den Zeitroman ins Essayistisch-Musilmäßige sich auflösen zu lassen.

Und der Autor sollte mit einem gutgeknüpften Kriminalplot und vielleicht auch einer elektrisierenden Liebesgeschichte aufwarten können, natürlich nicht naiv heruntergeschnurrt, sondern im Geiste jener „doppelten Ironie“ erzählt, bei der „zwei Linien von Ironie parallel nebeneinander laufen, ohne sich zu stören, eine fürs Parterre, die andre für die Logen, wobei noch kleine Funken in die Kulissen fahren können“ (Friedrich Schlegel).

Als Helden wäre etwa an einen künstlerisch ambitionierten kleinen Angestellten einer großen Kulturinstitution zu denken, der durch Hochstaplertricks Karriere macht, was ganz nebenbei erlauben würde, ein Licht auf die Beziehungen zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik fallen zu lassen.

Ach ja, und warum sollte unser erotisch-politisch-ironischer, experimentell essayistisch selbstreflexiver Schlüssel-, Zeit- und Bildungskriminalroman nicht auch noch exotische Schauplätze zu bieten haben sowie eine geistreiche Personnage, der unser Autor witzige Dialoge soufflieren könnte?

Sonst noch Wünsche? Na, wenn vielleicht noch irgendwie CNN unterzubringen wäre, Sie wissen schon: das globale Dorf ...

Genug. Wir können die Wunschliste hier abbrechen lassen: Das Buch gibt es schon.

Es ist ein Erstlingsroman, aber sein Autor, Stephan Wackwitz, ist kein ganz Unbekannter. Er hat in kleinen, aber renommierten Kulturzeitschriften wie dem Merkur,Lettre international und Der Alltag Essays veröffentlicht und im vorletzten Herbst ein hoch gelobtes Buch über Tokio („Beim Näherkommen durch die Straßen“, Ammann). Das Tokio-Buch entstand während der mehrjährigen Arbeit für das dortige Goethe-Institut, dessen Programmreferent Wackwitz war. Vor einiger Zeit ist er als Pressesprecher in die Zentrale nach München übergewechselt.

Das ist eine ungünstige Position für einen Romanautor, denn wir sehen unsere Dichter nicht gern in Amt und Würden, und schon gar nicht in einer repräsentativen Position des Kulturbetriebs. Eine kleine Praxis für Geschlechtskrankheiten im proletarischen Osten Berlins, das mag ja noch angehen, aber mit Hilmar Hoffmann auf Duzfuß zu stehen und mit Enzensberger Lesereisen nach Südamerika einzustielen, also das geht denn doch ein bißchen weit... Außerdem: Kann ein Autor, der auf die Einladungspolitik der von ihm vertretenen Institute womöglich einigen Einfluß hat, von den bekanntermaßen reiselustigen Feuilletonisten und Schriftstellerkollegen eine einzige ehrliche Rezension erwarten?

Damit sind wir mitten in einem zentralen Thema dieses Romans, der Verschränkung von Kultur und Macht, die sich im allgegenwärtigen Kampf um Distinktionsgewinne und Redezeit, im beneideten Prestige der Prominenten und in der schleichenden Korruption des Betriebs zur Geltung bringt. Siegmund Walker, der Held des Romans, ist selber in diese Kämpfe verstrickt, denn mit seinem Erfinder hat er nicht nur die Anstellung bei einem Kulturinstitut gemein – er verdient seinen Lebensunterhalt bei der „Friedrich-Rückert-Stiftung“ – sondern auch die Passion für den feinsinnigen Essay. Walker wird zwar in „renommierten Essayzeitschriften“ gedruckt, aber es plagt ihn der Verdacht, „daß seine Aufsätze wohl doch von kaum jemandem außer den Redakteuren gelesen werden“. Dieses Minderwertigkeitsgefühl, so erklärt ihm sein scharfsinniger und -züngiger Kollege Dr. Siebert wenig trostreich, sei ganz unvermeidlich, weil jeder Bürger, „insofern er redet, Essayist ist“. Aus dieser literarischen Form allein, die eine „Mischung aus lyrischer Selbstdarstellung, Erzählprosa und Argumentationsdrama“ sei, könne niemand ein Redemonopol begründen, „während ein Autor, der, in einer Gesprächsrunde gefragt, was er jetzt schreibe, wenn er antwortet: einen Roman, sofort respektvolles Schweigen sowie glänzende Blicke der Damen einheimst“.

Ebendies wird Walker tun. Vor allem der Blicke einer bestimmten Dame wegen wird er vorgeben, an einem Roman zu arbeiten, an einem Roman über „das Leben der Auslandsdeutschen“.

Und jetzt müssen einige der wunderbaren Wackwitzschen Erfindungen (?) einfach einmal aufgereiht werden. Ort der Handlung ist die Kapitale eines tropischen Inselstaates, dessen Reichtum auf einer expandierenden Software-Industrie beruht. Die Sprache des Landes ist von deutschen Brocken („jawoll“) durchsetzt, was sich durch die koloniale Vergangenheit erklärt. Aus ihr resultiert auch die heute besonders delikate Beziehung der Bundesrepublik zu dem pazifischen Steuerparadies, die im Lauf der Handlung stark in Mitleidenschaft gezogen werden wird.

Der Wirtschaftsminister des Landes wird nämlich bei einem Besuch in Leipzig von Skinheads angegriffen, was die diplomatischen Beziehungen zur alten Kolonialmacht schwer erschüttert. Walker kommt auf die Idee, ein großes Versöhnungsfest zu organisieren, die „Multikulturelle Deutschtropische Kulturwoche“. Die oben erwähnten Repräsentanten deutscher Kultur werden eingeflogen, und ihr Treffen unter Palmen gibt Wackwitz Gelegenheit zu einer großartigen Farce. Als Nebenprodukt fällt eine Habermas-Deutung ab, die erhellender ist als alles, was die Schulweisheit dazu bisher hervorgebracht hat.

Die von Siegmund Walker bekleidete Stellung bei der Friedrich- Rückert-Stiftung geht zurück auf jene Zeit, als Matthias Norden, der „Voltaire im Cutaway“, als Botschafter in jenem einer Schwarzwaldvilla nachempfundenen Amtssitz am „Erich-Mühsam- Drive“ residierte, den die Eingeborenen despektierlich „The Obersalzberg“ nennen. Norden, auch „der Magus des Südens“ genannt, „war während seiner Amtszeit im besetzten Paris Freund Jüngers, Cocteaus, Picassos sowie der Generäle Stülpnagel und Speidel gewesen und später zeitweilig Chef des Literaturblattes der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, kurz: ein Geistesmachtmensch erster Güte. Um Nordens absolutem Stilwillen, auch in amtlichen Schreiben, zu entsprechen, war es nötig, eigens einen Experten einzustellen, der die ärmliche Korrespondenz im altabendländischen Sinne des „Humanun“ (Norden) frisiert. Diesem Willen zur Form verdankt die Rückert-Stiftung die Gelder des Außenministeriums – und Walker seinen Job.

Für die permanente Demütigung seines Schöpfertums in diesem Job hatte sich Walker im Essayismus zwar einen gewissen Ausgleich geschaffen, aber als die von ihm verehrte schöne Erbin des lokalen Zigarrenimperiums, Juliana Hochstraß, bei einem der üblichen Empfänge nur Augen und Ohren für den Schwerkünstler Heiner Müller hat, bricht sich Walkers unterdrückte Ambition Bahn, und er plaudert sein Romanprojekt über „jene faszinierende Mischung aus Erotik, Korruption und Verbrechen“ aus, die sich hier wie in einer Laborsituation beobachten lasse.

Neben dem gewünschten Effekt – Walker, der vermeintliche Romanschriftsteller, gewinnt nicht nur das geneigte Interesse Julianas, sondern gleich auch noch die sehr fleischliche Leidenschaft der ZDF-Korrespondentin Sabine Kammerstrand und die Freundschaft der gleichermaßen erotisch wie intellektuell anziehenden Mathematikerin Song-my – stellen sich eine Reihe von unerwünschten Folgen ein: Es gibt nämlich auf der Insel tatsächlich Verbindungen von ökonomischem und kulturellem Kapital, von denen Walker sich nichts träumen läßt. Seine Angeberei mit dem enthüllenden Zeitroman wird ihn – wie, wird hier selbstredend nicht verraten – fast das Leben kosten und am Ende zum reichen Mann machen.

„Walkers Gleichung“ ist auch eine intelligente und witzige Variation auf ein altes Thema – auf den Roman vom scheiternden Schriftsteller. Daß einer – im Roman – keinen Roman zuwege bringt, wird zur Garantie dafür, daß dem anderen, dem wirklichen Autor, seiner gelingt. Selten ist die Sache mit soviel ironischem Sinn für das Paradox dieser Konstruktion durchgeführt worden. Denn hier wird nicht nur mit Raffinement ein Scheitern vorgeführt. Walker bringt immerhin allerhand lichtvolle bis verwirrte Fragmente über die romantische Liebe, Mystik und Poesie und den Dezisionismus aller künstlerischen Setzungen zu Papier. Wackwitz' Roman kommt um so mehr in Fahrt, je aussichtsloser das Walkersche Romanprojekt wird.

Der Autor als reale Person schlüpft aus der Rolle des Gescheiterten, so hat es Jürgen Manthey beschrieben, „wie der Schmetterling aus der Larve“. Wackwitz macht darüber einen herrlichen Witz. Einmal wird der Held von seinem Vorgesetzten angebrüllt, der ihn mit einer Verdrehung seines Namens demütigen will: Aus „Walker“ wird dabei „Wackwitz“ – eine „blöde Verballhornung“, die Walker zu Recht sehr genervt aufnimmt.

Stephan Wackwitz: „Walkers Gleichung. Eine deutsche Erzählung aus den Tropen“. Steidl Verlag 1996, 339 Seiten, geb., 28 DM

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