: Ungenierte Gäste
■ Mit dem Gastspiel "Kolumbus, Koks und Kaffeebohnen" eröffnete die Werkstatt 3 eine aktuelle Lateinamerika-Reihe
eröffnete die Werkstatt 3 eine aktuelle Lateinamerika-Reihe
Eine herabgewirtschaftete Hotelbar irgendwo in Lateinamerika. Wegen des bevorstehenden Kolumbus-Jubiläums tummelt sich hier ausnahmsweise eine ganze Invasion von Gästen - ausländischen natürlich: ein verkorkstes Entwicklungshelfer-Ehepaar, ein versoffener Drehbuchautor, ein gelackter Marketingberater, eine alternde Hippie-Frau mit wallenden Haaren und wallendem Rock sowie ein rassistischer Arzt im „humanistischen Mäntelchen“. Kolumbus, Koks & Kaffeebohnen war dieses kabarettistische Spektakel überschrieben, das am Sonntag abend in der Fabrik zu sehen war.
Gleichzeitig war der Abend Auftakt zur Lateinamerika-Reihe der Altonaer Werkstatt 3. Der gegebene Anlaß ist hinreichend bekannt: Die historisch so folgenreiche Entdeckung des vermeintlichen Indiens beschäftigt dieses Jahr nicht nur jubilierende Gemüter. Hie und da wird auch alternativ über den 500. Jahrestag des Ereignisses nachgedacht, so denn auch aktuell im Herbstprogramm der Werkstatt 3.
In solchem Sinne also gebärdete sich die Produktion Kolumbus, Koks & Kaffeebohnen der Theatergruppe Laboratorium aus der Schwabenmetropole Stuttgart. Und erhob sogleich das bewußt andersdenkende Lateinamerika-Interesse mit zum Thema. Da mußten dann auch Rucksacktouristen und Dritteweltgruppen fürs kabarettistische Gespött herhalten - wenngleich die überdimensionalen Überzeichnungen das Gros der Zuschauer vor allzu treffenden Spitzen eher schützten.
Weniger schonend gingen die Kabarettisten mit den Bezügen zur politischen Gegenwart um. Da erschien abgetakelt, jedoch in weißen Königsgewändern, die alternde Dame Europa und besang ganz ungeniert die Schule ihrer Triebe: „Vorzeitiger Sklavenerguß, Kolonialismus Interruptus, Dildos und Bimbos“. Im Schlepptau hat sie ihren verzogenen Balg Liberty, der im bonbonfarbenen Ballettröckchen gegen die dekadente Mama rebelliert - und nach seinen Truppen für den nächsten Einmarsch kräht.
An solchen Stellen konnte den Lachenden mulmig werden. Dafür sollten sie sich dann auch hüten, über den einzig anwesenden Latino in der Show - den Pianisten der Bar - das Gesicht zu verziehen. Denn der war ernst und edel und stand für Lachnummern nicht zur Debatte. Dorothea Schüler
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