: Ungehaltene Arien
■ Matthus-Uraufführung „Desdemona und ihre Schwestern“ in Schwetzingen
Nach dem Historienschinken Graf Mirabeau hat Siegfried Matthus als achte Oper ein Kammerspiel komponiert. Drei Frauen aus Christine Brückners Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen reflektieren über ihre Art zu lieben, und insofern ist das angekündigte Frauenstück natürlich eines über die Männer geworden. Wie eine Viererbande aus dem Verein der Sieben Schwaben stapfen sie durch die Szenerie und singen in altdeutscher Weise biblische Chauvi-Sprüche von der Art: „Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie ein Sau mit einem goldenen Haarband“. Der Argwohn, die männliche Anwesenheit entspringe keinerlei Notwendigkeit und sei lediglich ein musikalisches Gewürz, wird vom Komponisten bestätigt.
Dennoch währt der weibliche Triumph noch nicht einmal anderthalb Opernstunden: Die Frauen finden schließlich, es habe keinen Zweck, männliches Denken und die Welt ändern zu wollen. Siegfried Matthus und Frau Helga wissen Bescheid. Und sie wissen, was als Oper und wie Oper geht.
Die Künstlergattin, ausgebildete Sängerin, gab den Anstoß für die Problematik: „Frauenstimmen komponierst du am besten“, wurde dem Gatten beschieden. Nach glücklosen Experimenten mit der Callas-Figur entstanden drei einander überlagernde „Opernmonologe“ für die Athener Hetäre Megara („Füttert die Männer mit Sellerie, Sex und Wachtelei!“), für Judy, eine Gefängnisinsassin, die auch Gudrun heißen könnte („Dieses verdammte Versöhnungsficken!“) und Desdemona („Übt immer Treu und Lieblichkeit!“).
Problematischste Person ist die Judy. Befrachtet mit einem hoffnungslos überholten Ideologiemischmasch von Schlagworten aus der Terroristen- und Studentenszene, geplagt von Textteilen wie „Der Vorgang des Stillens war wichtig für meine Selbstfindung“, muß sie buchstäblich gegen Wände rennen. Das weckt geradezu Mitleid, ist die wirkliche Szene doch ganz mühelos ins Establishment geglitten. Auch musikalisch trägt Judy Altlasten. Sind die literarischen Damen früherer Jahrhunderte wenigstens konsequent gefällig postmodern behandelt, muß sich Yvonne Wiedstruck immer wieder einmal in großen Intervallen und unter Schlagwerksbegleitung durch einen mühsamen Modernismus quälen. Die bildschöne Frau tut das allerdings intensiv und wohllautend.
Ein Pluspunkt der neuen Matthus- Produktion: Was gesungen und von Mitgliedern des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart im Rokoko-Theater des Schwetzinger Schlosses gespielt wurde, klingt zeitgemäßer und individueller als die im Mirabeau versammelte Musikgeschichte des 19.Jahrhunderts. Schlagwerk und gestopfte Trompeten, Flöten und Harfe, Frauenstimmen und sparsame Streicher: Aus seinen Lieblingszutaten publikumswirksame Delikatessen für den feineren Geschmack zu komponieren, darauf versteht sich der Meister wie kaum ein anderer. Siebzehn Instrumente und sieben Singstimmen standen dem Dirigenten Rolf Reuter für seine präzise Arbeit zur Verfügung. Die zarteren Mischungen gelangen ihm besser als die bei allem Donner- Blech-Getöse noch immer verbindlichen Emotionsentladungen. Kein noch so guter Dirigent kann einem Komponisten aus seiner Haut helfen.
Die Theater-Quiz-Aufgabe: Wie inszeniere ich ein handlungsloses Stück? Götz Friedrich löste das Rätsel mit Geschick. Die vorgegebenen realen Orte: Athener Marktplatz, Desdemonaisches Schlafzimmer und namenlose Gefängniszelle ignorierte Friedrich und ließ Megara, Judy und Desdemona ihren Betrachtungen in imaginären Räumen nachhängen. Unter Reinhart Zimmermanns Hand fügten sie sich aus Spiegeln und mittlerweile unvermeidlichen Neonstäben auf schwarzer Bühne zu einer Art Spiegelkabinett und Jahrmarkts-Irrgarten.
Die Koproduktion zwischen Deutscher und Komischer Oper aus Berlin hat tief zurückreichende Wurzeln. Schon Matthus erste Erfolge wurden von Götz Friedrich, seinerzeit noch in Felsensteins Theater, auf die Bühne gehoben. Der Fliederduft des Schwetzinger Parks würzte lind die reifer gewordene Nostalgie. Irene Tüngler
Siegfried Matthus, Desdemona und ihre Schwestern. Uraufführung. Ab 27.Juni in der Komischen Oper, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen