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Und tschüß!

■ Finales 0:2 gegen Duisburg. Der FC St. Pauli zelebriert seinen Erstliga-Abschied – mit la ola und Andrea Bocelli

Unzählbare gekräuselte Nackenhaare machten allen Beteiligten klar, jetzt – wenige Minuten nach Spielschluß – kam der Höhepunkt im Drama des Abschied-Nehmens, das unvermeidliche „Time to say good-bye“des Andrea Bocelli. Die Spieler waren am Ende ihrer Ehrenrunde angekommen und stellten sich noch einmal vor der Gegengeraden auf, das, was sie sich seit Monaten verkniffen hatten.

Die Bundesliga-Saison 1996/97 hatte mit dem 0:2 gegen Duisburg für St. Pauli doch noch ein versöhnliches Ende gefunden, nach sechs erzielten Rückrunden-Punkten, davon zwei Drittel auf fremdem Geläuf. Als den Zuschauerinnen und Zuschauern noch die letzten Takte des Triumphmarsches von Verdi in den Ohren klangen, hatte Präsident Heinz Weisener die Abschiedsgala des Bundesliga-Schlußlichts eröffnet. Er wandte sich an seine St. Paulianer und St. Paulianerinnen, um ihnen den sofortigen Wiederaufstieg zu versprechen.

Schon vor dem Spiel hatten sich Eigner, Sobotzik, Pedersen und Pisarew verabschiedet. Verabschieden mußten sich auch Fröhling, Emerson, Schweißing und Driller. Martin Drillers erzwungener Abschied stand für alle bereits seit Wochen fest. Gerade deswegen wollte er dem FC einen Vorwurf nicht ersparen: „Ich finde es traurig, daß der Verein es nicht geschafft hat, Spieler würdig zu verabschieden, die sich hier jahrelang den Arsch aufgerissen haben.“

Wen der 27jährige damit meinte, machte er auch gleich klar: „Ich bin öfter als alle anderen mit den Fans auf der Reeperbahn gewesen.“Was er vielleicht nicht wahrhaben wollte: Er bekam genau den Abschied, den der Verein für angemessen hielt. Zu sehr hatte das Vertraggepokere des Harley-Fans die Führungsriege genervt.

Abschied oder vorläufigen Abschied nehmen mußte auch Dieter Schlindwein, der unter KaPe Nemet unverhofft erste Erfahrungen als Co-Trainer machen durfte. Aber Schlindi konnte sich mehr Gelassenheit leisten. „Es hat noch keine Gespräche mit dem Präsidenten gegeben. Aber ich kann alles auf mich zukommen lassen.“Weisener habe ihm versprochen, daß er als Trainer beim FC bleiben dürfe. „Wer ihn kennt, weiß, daß er sein Wort hält.“Sollte heißen: Wenn der und der tatsächlich absagen sollte und der auch noch, dann kommt aber wirklich die Chance des Dieter S.

Einen Tag vor dem Abschied hatte bereits ein Übungsleiter-Kollege die Gelegenheit bekommen, beim FC arbeiten zu dürfen. Präsident war sich treu geblieben und hatte den 56jährigen Weltenbummler-Oldie Eckard Krautzun als Trainer für die Saison 97/98 verpflichtet: So alt war auch Uli Maslo gewesen, als er im Juli 1994 am Millerntor anfing.

Abschied von sich selbst nahmen auch Teile des Publikums, so sie denn in braun-weiß fühlten und nicht auf der Haupttribüne saßen. Zwar ein wenig mühsam zu Beginn, aber mit jedem Versuch gekonnter, schwappte eine la ola nach der anderen über den guten Geschmack hinweg. Kein Gassenhauer des Fußball-Liedguts wurde ausgelassen: „Oh, wie ist es schön, so was hat man lange nicht gesehen“.

Die gute Laune hielt sich, weil alle irgendwie ahnten, das war's noch nicht. Und richtig, Andrea Bocelli kündete unnachahmlich Großes an. Die Mannschaft stellte sich beinahe komplett noch einmal vor die Gegengerade, reckte teilweise ihre Daumen in die Höhe und badete dann im nichtendenwollenden Applaus der Fans.

Bei so geballter Abschiedsfreude hatte wenige Minuten vorher auch Klaus Thomforde nicht beiseite stehen wollen. Auch er nahm Abschied, Abschied von einer alten Gewohnheit. Ein Abschlag aus der Hand prallte nur wenige Zentimeter vor seinem reichlich verdutzen Duisburger Gegenüber Thomas Gill auf und hätte beinahe noch den Weg ins Tor gefunden.

Uwe Wetzner

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