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Und nichts als die reine Wahrheit

Heute muß Winnie Mandela vor Südafrikas Wahrheitskommission über die Verbrechen ihrer einstigen Leibgarde aussagen und ihre eigene Rolle im Mordfall Stompie erhellen  ■ Aus Soweto Kordula Doerfler

Die Mutter der Nation wacht am Eingang. Auf dem Arm hält sie einen kleinen zusammengekauerten Mann wie einen Säugling, eng an sich gedrückt. Die Holzstatue trägt zwar nicht die Züge der lebenden „Mutter der Nation“, doch die Anspielung ist unmißverständlich. Da es andere nicht mehr tun, vermarktet Winnie Mandela sich selbst, um ihre notorischen Geldnöte zu lindern. Rund 100 Besucher kommen jeden Tag in die Vilikazi Street, Orlando West, Soweto, um die Relikte des Befreiungskampfes zu bestaunen. Der Devotionalienhandel in einer kleinen Garage ist die neueste Touristenattraktion in Südafrikas größtem Township: Angeboten werden afrikanisches Kunsthandwerk, kleine Blechteller mit den Konterfeis von Winnie und Nelson Mandela, Joe Slovo, Oliver Tambo.

Ein alter Mann macht eine Führung durch den Garten des typischen Township-Hauses, in dem Winnie und Nelson Mandela in den 50er Jahren gemeinsam lebten. Er hat auch Heroisches zu erzählen. Wie das Haus zum Beispiel von Agenten des Apartheid-Staates in Brand gesetzt wurde. Das stimmt nicht ganz. Tatsächlich waren es Jugendliche, die einen Racheakt auf Frau Mandelas Leibgarde verübten, den „Mandela United Football Club“. Die berüchtigte Schlägertruppe wohnte in den 80er Jahren teils hier, teils in ihrem zweiten Haus im Ortsteil Diepkloof und terrorisierte das Township. Sie prügelten, entführten, folterten und töteten angebliche Spitzel. Zwar stand Winnie Mandela 1991 wegen deren Machenschaften einmal vor Gericht. Sie selbst aber blieb am Ende frei. Für den Mord an dem Jugendlichen Stompie Seipei Moeketsi im Jahr 1988 wurde der „Trainer“ des Clubs verurteilt. Seither ist der Ruf der Ikone des Befreiungskampfes zwar angeschlagen, richtig aufgeklärt aber wurden die Verbrechen nie. Der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) schwieg. Nelson Mandela hielt bis zu seiner Scheidung im vergangenen Jahr öffentlich zu ihr, auch wenn er sie vorher wegen ihrer Allüren aus seinem Kabinett geworfen hatte. Jetzt allerdings wird Winnie Madikizela- Mandela, wie sie seither heißt, doch noch von ihrer Vergangenheit eingeholt. An ihrem heutigen 63. Geburtstag muß sie sich unbequeme Fragen von der sogenannten Wahrheitskommission gefallen lassen.

Das Gremium hat sie vorgeladen, um vorerst hinter verschlossenen Türen zu möglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszusagen. Seitdem der Termin feststeht, hagelt es innerhalb und außerhalb Südafrikas belastende Publikationen (siehe taz vom 16.9.), die ihr unter anderem Anstiftung zum Mord an dem Arzt Abu Baker Asvat und den eigenhändigen Mord an Stompie zur Last legen.

In insgesamt 18 Fällen, darunter acht Morde, hat die Wahrheitskommission gegen sie ermittelt. Sollten sich einzelne Verdachtsmomente erhärten, kann sie eine öffentliche Anhörung anberaumen und Zeugen vorladen.

Zudem haben mehrere Mitglieder des „Clubs“ Amnestie beantragt, darunter auch der seit Jahren untergetauchte Hauptbelastungszeuge des Stompie-Mordes, Katiza Cebekhulu. Sie können für politische Verbrechen amnestiert werden, wenn sie ein volles Geständnis ablegen. Zwangsläufig wird ihre Mentorin dabei schwer belastet werden – wie auch die ANC-Spitze insgesamt. Zwar hat Nelson Mandela den Vorwurf dementiert, kurz vor dem Prozeß Cebekhulus Deportation in ein sambisches Gefängnis angeordnet zu haben. Zweifellos war der ANC aber für dessen nicht ganz freiwilliges Exil veranwortlich.

Winnie Mandela selbst indessen bestreitet alle Vorwürfe und bezeichnet sie als Manöver, ihre Karriere zu zerstören. Tatsächlich bereitet sie gerade ihr politisches Comeback vor, für die Ära nach Nelson Mandela. Ende des Jahres wird der ANC Thabo Mbeki zu dessen Nachfolger wählen. Winnie Mandela, kürzlich als Präsidentin der ANC-Frauenliga wiedergewählt, bewirbt sich für das Amt der Vizepräsidentin. Zwar ist sie in der Parteispitze nicht sonderlich beliebt, in den Townships aber überaus populär. Das weiß auch der ANC. Sollte sie gewählt werden, ist ihr auch die Vizepräsidentschaft in der nächsten Regierung sicher.

Manches ANC-Mitglied macht diese Vorstellung zwar insgeheim schaudern. Viele ihrer meist jugendlichen Anhänger aber wünschen sich mehr. „Wir wollen Winnie als Präsidentin“, sagt Ntandi Zulu. Ihre Mitschüler pflichten ihr bei. Die Vorwürfe gegen sie, das ist klar, sind eine Lügenkampagne. „Sie ist die einzige, die uns wirklich zuhört“, pflichtet ein anderer bei. Die „Wahrheit“, davon ist er überzeugt, wird siegen.

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