Und kein Lichtlein brennt

Ein Leben wie eine Metapher: Wolfgang Böhmer inszeniert Hannelore Kohls Krankheitsgeschichte an der Neuköllner Oper. Diskret und fernab jeglicher Boulevardisierung, als unerträglich leises Drama einer ganzen Frauengeneration

Wenn je die Umstände einer Krankheit und eines darauf folgenden Todes zur Metapher taugten, dann diese: Eine Frau im Schatten ihres mächtigen und an Leibesumfang immer enormer werdenden Mannes, erkrankt an einer Lichtallergie. Die letzten Jahre ihres Lebens verbringt sie einsam in ihrem abgedunkelten Bungalow in der Provinz. Eines Tages nimmt sie sich dort das Leben.

Mit ihrem Tod war Hannelore Kohl, zu Lebzeiten nie ernst genommen und wegen ihrer Biederkeit belächelt, plötzlich zur mythischen Figur geworden: besonders die Stoffe deutscher Tragödien stammen manchmal aus den Abgründen der Biederkeit. Doch Hannelore Kohl als Opernheldin, das hätte auch schief gehen können. In der Neuköllner Oper nun, wo Wolfgang Böhmers nach einem Theatertext von Dea Loher entstandene Kammeroper „Licht“ uraufgeführt wurde, ist jetzt ein kleiner Triumph daraus geworden.

Sicher umschiffen der Komponist und sein Regisseur Boris von Poser sämtliche Tücken des auch von der Boulevardpresse reichlich ausgeschlachteten Themas. Auch das gelegentlich zu dick aufgetragene pathetische Timbre der Vorlage, deren Sätze manchmal fast schon zur Stilblüte taugen, wird geschickt entschärft. Die Aufführung berührt durch eine fast asketische Distanz und Diskretion: In einem Glaskasten (Bühne Thimo Plath) begegnet man einer Frau (Veronika Nickl) im Morgenmantel. Später kommen noch drei weitere Frauen (Regine Gebhardt, Kathrin Unger und Cornelia Wosnitza) dazu und reflektieren als Chor der „Schatten“ die Geschichte der Frau, die in ihrem aquariumartigen Gefängnis langsam zu Grunde geht – die erst ihre Fische sterben lässt, dann ihren Hund und zuletzt sich selbst.

Am Anfang ist nur ihr schweres Atmen zu hören. Dann kommt als einziges Instrument ein Vibrafon hinzu, das ab und zu vom Schlagwerk begleitet wird. Die Frau spricht dazu Dea Lohers Texte oder singt sie als kurze Rezitative.

Im Reflex der minimalistischen Mittel der Aufführung entsteht das unerträglich leise Drama einer ganzen Frauengeneration nach dem Krieg, die ihr Leben nicht selber lebte, sondern von ihren Männern leben ließ. Die Sängerin Veronika Nickl singt und spielt das sehr emotionslos und lakonisch. Wolfgang Böhmers abstrakt-romantische Melodik kann vor diesem Hintergrund seine volle Wirkung entfalten. Böhmer bewältigt selbst die Vertonung scheinbar opernuntauglicher Worte wie „Gesprächsfachberaterspezialwissen“ ohne Nebengeräusche.

Gegengewicht zur schlicht „Frau“ genannten Figur ist der beeindruckende Chor der drei Schatten-Frauen, der nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch manchmal weit abschweift: zu Zeitungsmeldungen, Raumschiff-Enterprise-Variationen über die unendlichen Weiten der Bonner Region, zu einem Rilke-Gedicht, zum Jazz, in abstrakte Atonalität oder zur italienischen Volksarie „O Sole mio“, gesungen als virtuos ironische Hymne an die Sonne und den monströsen Schattenwerfer Helmut Kohl.

Auf diesem Weg hat die Enge, die durch die Nähe des Themas zur Wirklichkeit und den klaustrophobischen Stoff selbst entsteht, plötzlich einen enormen Resonanzraum in der Musik, die den Abend vollends zu einem Ereignis macht.

„Licht“, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str.131–133, Neukölln. Weitere Aufführungen u. a.: 27. 8., 28. 8., 29. 8., jeweils 20 Uhr