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„Und dann wurden wir einfach ausgesetzt“

Nach einer bitteren Odyssee durch neue und alte Bundesländer fanden die doppelt vertriebenen Asylbewerber von Hoyerswerda in einem Braunschweiger Flüchtlingszentrum Unterschlupf/ Ihr Schicksal bleibt ungewiß: Müssen sie zurück?  ■ Aus Braunschweig Reimar Paul

„Wir wollen hierbleiben“, sagt der junge Vietnamese in gebrochenem Deutsch, „zurück nach Sachsen gehen wir niemals.“ Die anderen aus der Gruppe, die sich auf wackligen Stühlen um den kleinen Tisch im Braunschweiger Flüchtlingszentrum „Refugium“ gezwängt haben, nicken dazu. Für den Fall einer gewaltsamen Abschiebung haben einige mit Selbstmord gedroht. Der Alptraum von Hoyerswerda lastet auch zwölf Wochen nach der brutalen Vertreibung schwer auf ihnen.

14 Vietnamesen, unter ihnen drei Frauen, ein mongolisches Ehepaar und ein Tamile, hat es Ende September nach einer bitteren Odyssee in die Zentrale Anlaufstelle (ZASt) für Asylbewerber des Landes Niedersachsen verschlagen, ein düsteres mehrstöckiges Gebäude am Rande der Braunschweiger Südstadt. Zwei Räume in der früheren Kaserne sind für die Schutzsuchenden freigemacht worden, für jeden gibt es ein Bett und ein Handtuch. Die Eheleute aus der Mongolei mit ihrem sechs Wochen alten Baby durften immerhin ein acht Quadratmeter großes Doppelzimmer beziehen, das obere der beiden engen Etagenbetten haben sie zur Wickelfläche umfunktioniert.

Ihre privaten Bedürfnisse — und das heißt alles außer Essen, Kleidung, Seife und Waschmittel — müssen die Flüchtlinge aus eigener Tasche bestreiten. Vierzig Mark Bargeld gibt es dafür alle zwei Wochen. Die Landesregierung hat die Summe erst vor kurzem um die Hälfte gekappt. Zuviel Geld, so die Begründung aus dem Bundesratsministerium, würde an Schlepperorganisationen fließen. Der Sprecher der vietnamesischen Gruppe, der seinen Namen nicht genannt wissen will, kann das nicht verstehen: „Mit achtzig Mark kann man keine Schlepperorganisation bezahlen.“

Nach tagelangen, fast ununterbrochenen Angriffen von Skinheads und anderen Jugendlichen waren am Abend des 24.September endlich Busse am Flüchtlingswohnheim in Hoyerswerda vorgefahren. Die Übergriffe an jenem Wochenende seien nicht die ersten gewesen, berichtet eine zwanzigjährige Frau. „Immer wieder, ein halbes Jahr lang, schrien die Leute ,Ausländer raus‘, immer wieder wurden wir geschlagen und verfolgt.“ Noch hinter den abfahrenden Bussen seien johlende Menschen hergerannt. Ein Stein krachte durch die Scheibe und verletzte einen Vietnamesen am Kopf. Glassplitter drangen ihm ins rechte Auge, er leidet noch heute unter Sehstörungen. Spät in der Nacht, nach vielen Stopps und Umwegen, gelangte ein Teil des Konvois nach Pirna. „Da war kein Sozialamt, keine Polizei, kein Haus und kein Essen“, erzählt die Frau, „wir wurden da einfach ausgesetzt.“ Die Nacht hätten sie irgendwo draußen verbracht, sich am nächsten Tag auf eigene Faust und ohne Geld durchgeschlagen: Dresden, Hannover, schließlich Braunschweig.

Die ZASt habe zunächst gar nicht gewußt, wie sie auf die Ankömmlinge reagieren sollte, berichtet Reinhild Foltin von der Braunschweiger Flüchtlingshilfe. Erst durch die mündliche Zusage der Landesregierung, die Gruppe vorübergehend in Niedersachsen zu dulden, sei die Unterbringung dann doch geregelt worden. Allerdings, so Foltin, habe die Leitung der Anlaufstelle alles unternommen, um der Gruppe das Leben so schwer wie möglich zu machen: „Erst hieß es, geht bloß nicht auf die Straße, das provoziert die hiesigen Skinheads. Dann wurden die Leute unter Druck gesetzt, freiwillig zu verschwinden, weil sie sonst mit Gewalt zurückgebracht würden.“

Inzwischen verhandeln die Regierungen in Dresden und Hannover unter Ausschluß der Betroffenen über deren Schicksal. Aus Gründen des Staatswohls und der Ländersouveränität besteht Sachsen auf einer Rückführung. Schließlich, so schreibt die Zentrale Ausländerstelle des Freistaates in einem Bescheid vom 26.November, hätten die Flüchtlinge „nachweisbar ohne unmittelbar auf sie einwirkende körperliche Gewalt, freiwillig den Befugnisbereich unserer Behörde verlassen“. Einen Umverteilungsantrag könnten sie ja auch von Sachsen aus stellen. Im niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten setzt man darauf, daß Sachsen doch noch nachgibt. „Wenn man dort zustimmt, daß die Flüchtlinge hierbleiben können, brauchen sie auch nicht zurück“, meint ein Sprecher. Und wenn nicht? „Einen Präzedenzfall per Erlaß aber können und wollen wir hier nicht schaffen.“

Die Flüchtlingshilfe Braunschweig möchte erreichen, daß die Leute aus Hoyerswerda bleiben können. „Anderenfalls gibt es eine menschliche Tragödie“, warnt Reinhild Foltin. Wenn die Gruppe die katastrophalen Umstände, unter denen sie gegenwärtig in der ZASt lebe, als vergleichsweise angenehm empfinde, „dann kann man sich ausmalen, welchen Horror sie mit Hoyerswerda assoziieren.“

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