piwik no script img

■ „Caricatura“: Bedenklicher Punktvorteil der ErnstmacherUnd ab nach Kassel

Schöne neue Welt: Wohnklötze mit riesigen Satellitenschüsseln auf den Dächern, sämtliche Fenster sind mit Fernsehgeräten verschlossen. Mit diesem Bild gewann Rainer Ehrt im letzten „Berliner Karikaturensommer“ den Sonderpreis des Regierenden Bürgermeisters: ein Fahrrad. Die besten Arbeiten dieses mittlerweile vierten Wettbewerbs der Cartoonfabrik Köpenick zeigt nun die „Caricatura“ im Kasseler Kulturbahnhof. Motto hier wie dort: „Menschen – Medien – Mutationen“.

Das Familienleben in diesem Szenario stellt sich und uns Gerhard Haderer, Gewinner in der Abteilung Karikatur/Cartoon, indessen so vor: Er gruppiert drei Dickwänste und ein Baby um einen viereckigen Kasten, der auf jeder Seite eine Mattscheibe hat – für jeden einen, jedem sein Programm.

Ist das nicht komisch? Nein, das ist nicht komisch. Aber sehr kritisch. Zeigefinger. Aufpassen: Mächtige Medien manipulieren Menschen. Moral! Nein danke, da gucken wir wirklich lieber, was bei Rattelschneck unter „Zermatschtes“ steht, und verfolgen, wie ein „5jähriger Crackdealer“ seinen Eltern medial Kummer macht, sehen uns Eugen Egners Weltuntergang an, der „live aus Königswusterhausen“ übertragen wird, lassen uns von einer Nudelsuppe „allerhand Unverschämtheiten“ bieten oder begeben uns in Kamagurkas „Virtual Reality“, weil da alles so wunderbar und hervorragend „funktioniert“ ...

Natürlich, einen Preis in der Abteilung „Ablachstärke“ gibt es nicht. Da hätten andere gewonnen, jene, die der verückten Medienwelt eigene kleine, entrückte Welten entgegenstellen, komische Mikrokosmen mit eigenen witzigen, irr- und aberwitzigen Gesetzmäßigkeiten, die uns kraft komischer Dichte aufsaugen wie schwarze Löcher. Doch machen wir uns nichts vor: Auch beim Spaßmachen stehen die Ernst- und Nachdenklichmacher immer noch höher im Kurs als die Erreger des wahrhaft befreienden Lachens, das alles bedenkenlos hin- und mitreißt.

Geschätzt und gefordert von Feuilleton und ähnlichen kritischen Instanzen ist nach wie vor jenes Lachen, das einem beim Betrachten erstgemeinter und -zunehmender Karikaturen gefälligst im Halse steckenzubleiben hat – ein ausgelatschter und -gelutschter locus communis, den weiter zu verbreiten sich eigentlich verbietet. Ebenso wie die Bilder vermeintlich kritischer Karikaturisten, die immer noch verbittert und verbiestert zigarrenrauchende Bösewichter feindbilderfüllend für alles Übel der Welt verantwortlich zeichnen, als ob es noch die Fratze einer herrschenden Klasse gäbe. So.

So sinn- und verdienstvoll die Cartoonfabrik als eine Art Selbsthilfegruppe für Zeichner und Aussteller ist, bei den Wettbewerben scheint ihre größtenteils aus dem östlichen Teil unseres Landes stammende Jury humorarme, wenig sagende Schwerstsymbolik zu präferieren – dagegen vermochten wohl auch die Vertreter der nicht minder verdienstvollen Caricatura nichts auszurichten.

Folglich stehen denn auch für den diesjährigen, ganz dem Thema „Sport“ gewidmeten Karikaturensommer schwerste Denkanstöße unter fahlem Spottlicht zu befürchten. Aber zum Glück auch alberne Angriffe, komische Konter, abseitige Ablacher und jede Menge Torheiten. Gewinnen freilich werden aller Wahrscheinlichkeit nach wieder die mit dem nötigen Ernst. Ludwig Lang

Menschen – Medien – Mutationen: Caricatura Galerie für komische Kunst. Kassel, Bahnhofsplatz 1, vom 6. April bis 6. Juni, Di. bis So. 12 bis 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen