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Unbekannt verzogen

■ Die Uni begrüßt ihren fünften Sonderforschungsbereich / Produktionstechniker quälen Zahnräder in kochenden Salzlösungen, um sie richtig hart zu machen

Der Südatlantik im Spätquartär. Neuronale Grundlagen kognitiver Leistungen. Sprühkompaktieren. Statuspassagen und Risikolagen im Lebenslauf. Klingt schon alles ganz originell, was die Universität an Sonderforschungsbereichen (SFB) zu bieten hat – auch wenn nicht alle von sich behaupten können „Bei dieser Forschung kam kein Tier zu Schaden“. Im Gegensatz zu gewissen Projektbereichen der „neuronalen Grundlagenforschung“ kann das fünfte und jüngs-te SFB-Baby „Distortion Engineering – Verzugsbeherrschung in der Fertigung“ seine Experimente zu Demonstrationszwecken vor den Augen der Öffentlichkeit durchführen. Hier werden keine Affen, sondern Zahnräder und andere unschuldige Stahlstückchen „verheizt“.

Gestern stellte die Uni das interdisziplinäre Projekt (Produktionstechnik, Mathematik, Physik) vor, das sich einem „uralten Problem“ widmet, wie es der Sprecher des SFB, Prof. Dr.-Ing. Peter Mayr formuliert. Warum kommt es bei der Herstellung von Metallbauteilen wie zum Beispiel Zahnrädern immer wieder zum „Verzug“, das heißt zu Verformungen unterschiedlichen Ausmaßes, und wie lässt sich das vermeiden?

„Bisher wurde die Lösung immer in den einzelnen Produktionsschritten wie Stahlerzeugung, Werkstoffherstellung und Weiterverarbeitung gesucht“, sagt Professor Mayr. Auf diese Weise würde der schwarze Peter und damit die Verantwortung für die Beseitigung des Verzuges immer weiter geschoben. Der Ärger beginne spätestens in dem Moment, wenn das oberflächlich ausgesprochen plan aussehende Zahnrad durch Wärmebehandlung gehärtet werden muss, damit es Belastungen standhält. Danach könne es häufig nicht mehr gerade drehen.

In den von GeisteswissenschaftlerInnen links liegen gelassenen Gebäudekomplexen gegenüber des Hörsaals zeigen die netten Herren vom SFB, wie so ein Verzug entsteht. Anders als manche ihrer Uni-KollegInnen sind sich Professor Mayr und die anderen beiden Dr.Ing. Franz Hoffmann und Thomas Lübben darüber im Klaren, dass Laien keine Ahnung haben können, wovon WissenschaftlerInnen reden. „Kokille“, „umwuchten“, „Backenfutter“. Also gibt es erst eine verständliche Einführung in das Thema. Während der eine das Problem erörtert, schnappt sich ein anderer das Zahnrad oder eine ulkige braune Scheibe und stellt sie zum Streicheln zur Verfügung.

Anschließend ist in den Labor-Hallen Showtime angesagt. In einem Ofen brodelt flüssiges Salz, das auf 880 Grad Celsius erhitzt wurde. Dahinein werden die an einer Angel befestigten Stahlteile versenkt, bis sie optimal temperiert sind für die Erziehungsmaßnahme „Nein! Heiß! Nein! Aua! Heiß!“ Glücklicherweise werden keine Affen gezwungen, die leuchtend orange glühenden Dinger anzufassen, um anschließend Hirnströme zu messen. Stattdessen taucht der Techniker sie in kaltes Wasser, wo sich prompt eine „Dampfhaut“ um den Stahl bildet. Dieser Vorgang hat einen Namen: Das Leidenfrost'sche Phänomen. „Das haben sie sicher schon einmal gehört“, sagt Professor Mayr. Nein. „Na, das ist das Gleiche wie in Indien! Wenn die über glühende Kohlen laufen – das geht nur, weil sich zwischen Schweißfuß und Kohle eine Dampfschicht bildet, die den Wärmefluss unterbricht.“

Und hier liegt der Affe begraben. Bei diesem Härtungsprozess – heiß machen, kalt abblitzen lassen – kühlt der Stahl ungleichmäßig schnell ab, je nachdem, wo sich der Dampf zuerst verflüchtigt. Und jeder Technikblödi erkennt sofort: Dadurch wird die Sache nicht rund, sondern verzogen. Das feine Zahnrad muss dann erst wieder aufwendig geglättet werden. Das kostet die Industrie jährlich 6 % ihres Jahresumsatzes oder umgerechnet 1,6 Millarden. Verständlich, dass sich endlich jemand des Problems annimmt. Eiken Bruhn

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