HAMBURGER SZENE VON MAXIMILIAN PROBST : Unansehnlicher Sommer
Ein bisschen Sonne und schon geht das Schauspiel los: Kein Biertisch vor den Cafés, an denen nicht gestählte Bizeps zeigen, dass im Winter das Leben in den Muckibuden blüht. Und kein Park, in denen nicht pünktlich glatte Beine ihre dazugehörigen Frauchen spazieren führten. Man könnte diese plötzliche sommerliche Ausgezogenheit natürlich anziehend finden. Wenn sie nur nicht in so einem jämmerlichen Missverhältnis stünde, zu einem Schauspiel ganz anderer Art: Denn viel aufregender als zusehen zu müssen, wie sich Mitbürger ringsum entkleiden, ist das Schauspiel, wie sich die Natur verhüllt.
Holla: Der Anblick eines Baums, der im Begriff ist, seine Blätter zu entfalten, den Blick aber noch freigibt auf das Gewirr mattglänzender Äste! Das ist, als stünde die Natur in Netzstrümpfen da. Deren Masche besteht bekanntlich darin, dass sie den Blick einladen, zu hüpfen, zu tasten, zu tanzen: von Lücke zu Lücke, von einem Fleckchen schimmernder Rinde zum nächsten.
Von der Banalität entblößer Beine und Arme gleitet der Blick ab, in den halb beblätterten Bäumen verfängt er sich und kommt nicht mehr los. Allerdings ist es damit bald vorbei, denn ach, der Sommer: Zwei, drei Tage noch, dann steht die Natur im undurchdringlich grünen Kittel vor uns. Was ungefähr so attraktiv ist wie Menschen in Skianzügen.