Unabhängigkeitsantrag Palästinas: Israel rüstet sich für Tag X
"Turm der Stärke": Mit der größten Militär- und Polizeiaktion seit dem Abzug aus dem Gazastreifen rüstet sich Israel für palästinensische Massendemonstrationen.
JERUSALEM taz | Die Demonstranten zu stoppen bei einem Minimum an Verletzten - so lautet die Aufgabe der israelischen Sicherheitsdienste, sollte es im Herbst zu den erwarteten palästinensischen Massendemonstrationen kommen.
Je näher der Stichtag 15. September rückt, an dem die PLO vor der UNO die Anerkennung eines Palästinenserstaates beantragen will, desto klarer zeichnen sich die Konturen der Operation "Migdal Oz" ( "Turm der Stärke") ab. Es dürfte die größte Militär- und Polizeiaktion seit dem israelischen Abzug aus dem Gazastreifen vor sechs Jahren werden.
Am Donnerstag beriet die palästinensische Führung mit Vertretern der Arabischen Liga in Doha über den geplanten Gang zur UNO. Ungeachtet der Warnungen aus dem Weißen Haus, der unilaterale Schritt könnte die US-Hilfe an die Autonomiebehörde beeinträchtigen, will die PLO an ihrem Vorhaben festhalten.
"Fest steht, dass wir nach New York gehen", sagte Xavier Abu Eid, Sprecher der PLO in Ramallah. Nur ob man vor die Generalversammlung oder den Sicherheitsrat zieht, sei noch offen. Abu Eid räumt ein, dass die PLO im Sicherheitsrat wegen des angekündigten US-Vetos keine Chance hätte, als Mitgliedsstaat anerkannt zu werden. Trotzdem werde "der Konflikt auf eine internationale Ebene gehoben".
Seit Monaten organisieren palästinensische Flüchtlinge, meist über Facebook, den Marsch an die israelischen Grenzen. "Erwartungen - Frustration - Instabilität", bringt der israelische Generalmajor Amir Eshel, Chef der militärischen Strategieplanung, die Perspektive für "September/Oktober" auf eine simple Formel. "Wir haben Sorge vor neuer Gewalt", sagt Eshel, "aber nicht in Form einer dritten Intifada".
Armee und Polizei wollen auf alle Unwägbarkeiten vorbereitet sein. An einigen Stellen werden schon jetzt Betonwände errichtet, um eventuelle Massendemonstrationen zu behindern. Die Materialvorräte für die Auflösung von Menschengruppen wurden aufgestockt. Laut Berichten der Zeitung Jedioth Ahronot kaufte die Armee Schreck- und Rauchbomben in doppelter Menge wie sonst üblich. Wasserwerfer hätten sich, nach Erfahrung der Soldaten in dem palästinensischen Grenzort Bilin, als effektiv erwiesen, genauso wie Gas und Stinkwasser.
Nichttödliche Methoden und Scharfschützen
"Wir hoffen, dass unsere nichttödlichen Methoden effektiv sein werden", meint Generalmajor Eshel. Zu den September-Vorbereitungen gehört aber auch das Training von Scharfschützen. Bei den Demonstrationen Anfang Juni an der syrischen Grenze waren es letztendlich die Scharfschützen, die die Menge zurückdrängten - um den Preis von 10 beziehungsweise 13 Toten, je nach Quelle. Wie Jedioth Ahronot berichtet, soll im Westjordanland genauso wie an der syrischen Grenze vorgegangen werden, wenn sich die Demonstranten gewaltsam Zugang zu einer israelischen Siedlungen verschaffen oder israelische Straßensperren stürmen.
Für die Scharfschützen hieße das, auf die Beine zu schießen. Eshel schreibt die hohe Zahl der Toten bei den Demonstrationen Anfang Juni der Tatsache zu, dass "die Syrer die Sanitäter nicht zu den Verletzten vorgelassen haben". Wenn man lange genug warte, "kann auch ein Beinschuss tödlich sein". Professor Mosche Maoz, Experte für Nahost-Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, rechnet nicht damit, dass Israel "erneut ungeschoren davonkommen" wird, sollte es Tote in den Palästinensergebieten geben, wovon er ausgeht.
"Wenn an der syrischen Grenze Demonstranten erschossen werden, regt sich keiner darüber auf", sagt er, "aber wenn das an den Übergängen zum Westjordanland passiert, wird das schwere Folgen für Israels Ansehen in der Welt haben." Dennoch könne man die "unbewaffneten palästinensischen Frauen und Kinder, die auf die Grenze zumarschieren werden, sollte es bis September keine neuen Verhandlungen geben, nicht mit Blumen in Empfang nehmen." Maoz bedauert, dass die israelische Regierung nicht rechtzeitig ernsthafte diplomatische Lösungen verfolgt hat, anstatt "immer neue Bedingungen zu stellen, die die Palästinenser unmöglich erfüllen können".
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