: Un peu Genie sein oder an eins glauben
■ Von wegen Dogma 5! „Lovers“ liebäugelt halbherzig mit einem Balkanklischee in Paris
Dies mag zwar die fünfte Produktion sein, die nach den Regeln des dänischen Dogma-Manifests gefilmt worden ist, und doch hilft es nichts: „Lovers“ ist ein französischer Film, mit allem, was das touristische Herz begehrt, und mit allen Schwächen, die sich in den letzten Jahren um das ewige Thema der jungen Frau gruppiert haben. Selbst Rohmer hatte irgendwann begriffen, dass es schwieriger und deshalb interessanter ist, die Suburbia und die Provinz zu filmen als das Milieu nächtlicher Gassen links und rechts der Seine abzupausen. Allerdings lässt Jean-Marc Barr Paris aussehen, als sei es die Provinz.
Überhaupt scheint das Prinzip dieses Films zu sein, nichts gedeihen zu lassen, was gedeihen könnte. Dass eine junge Frau mit dunklen Augenbrauen und einem Lächeln, das – wenn ich nicht irre – so etwas wie großzügigen Verzicht signalisiert, sich von der Kasse ihres Buchladens aus in einen halb drängenden, halb trotteligen Kunden ohne einen Sous in der Tasche verliebt – nun gut.
Es ist auch nicht uninteressant, wenn sie ihm unter dem Mond des Sexus sogleich gesteht, eine Spur promisk zu sein, verschwenderisch mit sich, wegen Unglücks, gewissermaßen.
Aber diese Spur wird kommentarlos preisgegeben. Jeanne ist ab sofort nur noch in Dragan verliebt, und dessen Eifersucht ist völlig unbegründet. Was für die Promiskuität gilt, gilt für alle anderen Themen auch: Alleinsein und Zu-zweit-Sein, Dinge sagen oder verschweigen, Geld ausgeben oder sparen, miefend Sex zu machen oder geduscht, un peu Genie sein oder an eins zu glauben – die Themen werden ausschließlich aufgefahren, um sie sofort fallen zu lassen. In fast jeden Dialog ist ein Spannungskiller eingebaut, und wenn er nur in einem „Sorry“ besteht, ein Wort, das jede Auseinandersetzung rückwirkend in eine Lappalie verwandelt. Ununterbrochen sieht man eine der Figuren wohin gehen – Jeanne besucht ihre ältere Freundin Alice im Haus, zum Beispiel, aber der Besuch wird nicht gezeigt. Schon ist das Paar wieder zusammen, um den erwartbaren Vergnügungen nachzugehen.
Um eine kleine Andeutung der Geschichte zu geben, die keine ist: Dragan soll ein serbischer Maler in Paris sein; ob vor oder nach dem Kosovokrieg, erfahren wir nicht. Er ist ein störrisches Sensibelchen, ein herrischer Träumer, das Balkanklischee von seiner poetischen Seite. In der Mitte des Films dann eine Zäsur: Die Polizei will seine Personalien, und am Ende steht die Ausweisung. Aber wie alles andere dramaturgische Material wird auch der große Euroknaller verschenkt an die Gewöhnlichkeit. Denn dass Jeanne und Dragan sich streiten, nachdem er bei ihr (um unterzutauchen) eingezogen ist – wer hätte anderes erwartet?
Wie wenig die Regie von dem Schicksal weiß, das sie auf dem Silbertablett herumschaukelt, bemerkt man spätestens, wenn das Wort „Belgrad“ ausgesprochen wird. Würde sie ihm, eventuell, folgen? Warum eigentlich nicht? Und wenn die ganz große Liebe doch nicht ganz so groß ist, warum wagt sich dann Barr nicht soweit vor zu zeigen, wie diese Liebe an sich selbst zerbricht? Nein, stattdessen wird Dragan zwecks Abschiebung festgenommen, und wir bekommen eine große Heulszene im Treppenhaus mit Jeanne solo; der schwächste Auftritt der Schauspielerin Elodie Bouchez, in die wahrscheinlich schon wieder ganz Frankreich verliebt ist.
Und dabei ist dieser Film recht nonfrankophon in Flughafenenglisch gedreht, Dragan nennt Jeanne Jane. Mit etwas New Yorker Übung sagt er Sätze wie: „I don't want any help from that guy“ und: „You are paradise, Jane.“ Über den Englisch- und den Dogmatrick, mögen Barr und sein kleines Team gedacht haben, muss das westeuropäische Lichtspiel doch zu bewerben sein. Aber mit dem dänischen Aufbruch, dessen radikalen Charakteren, der komplexen Logik contrapunktisch geschnittener Videomanöver: Damit hat „Lovers“ leider gar nichts zu tun.
Ulf Erdmann Ziegler
„Lovers“, Regie, Kamera, Drehbuch: Jean-Marc Barr. Mit Elodie Bouchez, Sergej Trifunovic, Dragan Nicolic, F 1999, 101 Min.
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