Umzug von "Forsthaus Falkenau": Vom Fernsehen verlassen
Nach über 20 Jahren im niederbayerischen "Küblach" zieht das "Forsthaus Falkenau" nach Oberbayern – für den Drehort Ortenburg ein Verlust. Ein Abschiedsbesuch.
Die Tourist Info von Markt Ortenburg ist kaum größer als eine Eckkneipe, ein Tresen füllt die Hälfte des Raums. Inge Sickinger muss sich strecken. Prospekte und Hochglanzbroschüren türmen sich auf dem Tisch, Stapel an Stapel, wie in einem Zeitschriftenladen. Doch Frau Sickinger verkauft nichts, sie macht Werbung.
Inge Sickinger, freundliches Gesicht und gepflegtes Bairisch, leitet seit Jahren das Touristenbüro in Markt Ortenburg, Landkreis Passau, 7.000 Einwohner, grüne Hügel, Wiesen, Kühe, Kopfsteinpflaster. Es gibt ein Schloss, einen Wildpark und Wanderwege, Sickinger gibt Tipps, und wenn ein Tourist fragt, erzählt sie, wie es war, als Ortenburg ins Fernsehen kam.
Die Prospekte und die Broschüren reichen dafür nicht, Inge Sickinger streckt sich also und fischt aus dem Regal hinter sich einen Ordner. Vier Finger hoch türmen sich darin Zeitungsartikel, Fotos von lachenden Menschen, Frauen im Dirndl, Fernsehkameras. Inge Sickinger hat sie gesammelt, in Klarsichtfolien gesteckt, geordnet und beschriftet, ein Album mit Erinnerungen und Beweisen: Niemand soll vergessen, dass Ortenburg ein Teil vom "Forsthaus Falkenau" war.
Alte Kulisse
Von 1997 bis 2010 diente der Ort als Kulisse für die Vorabendidylle. Zwei- bis dreimal im Jahr kam ein Tross von Schauspielern und Technikern, rollte Kabel zwischen den mittelalterlichen Häusern aus, pflanzte Scheinwerfer aufs Kopfsteinpflaster und inszenierte das Leben eines Försters, so wie das ZDF sich das Leben eines Försters vorstellt.
Diesen und andere schöne Texte lesen Sie in der nächsten sonntaz vom 1./2. Oktober 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Das "Forsthaus Falkenau" ist eine seiner erfolgreichsten Serien, seit mehr als 20 Jahren flimmert sie in deutsche Wohnzimmer, es gibt eine Baronin und Trachten, wilde Tiere, Wald und Wiesen. Eine Fernsehtraumwelt, schöner als die Wirklichkeit: Küblach, der Ort, in dem "Forsthaus Falkenau" spielt, ist eine Erfindung, gedreht wird, wo Bayern am schönsten ist. Ein Best-of der Region, und Ortenburg war mit dabei. Am Freitag ist damit Schluss, dann startet die 22. Staffel (19.25 Uhr), Förster Stefan Leitner wird umziehen - bye, bye, Küblach!
Ein neues Forsthaus, neue Gesichter, neue Landschaften: schön für die Zuschauer, schlecht für Ortenburg. Weil Serienfans die Idylle im TV nicht mehr reicht, fahren sie nach Tirol zum Bergdoktor, an die Ostsee zum Landarzt oder eben nach Bayern zum Förster. So hat eine Heimatserie die Welt nach Ortenburg gebracht, aus Deutschland, Holland und der Schweiz kamen die Fans, ganze Reisebusse voll. Sie suchten Küblach und fanden Wanderwege und den Wildpark, das Vorabendprogramm wurde zum Wirtschaftsfaktor. "Touristisch war das ein Highlight", sagt Inge Sickinger. "Schade, dass die weg sind."
Warum das nötig war, erklärt das ZDF im "Hotel am Platzl", Traditionsbetrieb in der Münchner Innenstadt, 4 Sterne Superior, Kronleuchter, Personal in Tracht, ein Teppich dimmt alle Geräusche. In der Weiß-Ferdl-Stube findet eine Pressekonferenz statt, es gibt Kaffee und Apfelstrudel, zwei Dutzend Journalisten sind gekommen, dazu der Cast von "Forsthaus Falkenau" und seine Produzenten. Die Schauspieler waren zu spät, so muss es sein, jetzt sitzt man sich gegenüber an langen Tischen, die Journalisten zücken Stift und Zettel, der Vortrag beginnt.
28 neue Folgen von "Forsthaus Falkenau" hat das ZDF drehen lassen, darum soll es heute gehen und natürlich um dem Umzug. "Es gibt Zeiten im Leben, in denen man alle Wege kennt und neue Herausforderungen sucht", sagt Klaus Bassiner, und die Journalisten nicken. Bassiner ist Leiter der Hauptredaktion Reihen und Serien, glattrasiert, akkurate Frisur, wäre er Schauspieler, er würde den Chefarzt spielen. Bassiner ist verantwortlich für Krimis und die Serien aus der Heile-Welt-Sparte des ZDF, den "Bergdoktor", den "Landarzt" und das "Forsthaus Falkenau".
Im April 1989 wurde die erste Folge ausgestrahlt, Schauspieler Christian Wolff spielte den Förster Martin Rombach, die Rolle machte ihn zum Star. Im Jahr 2005, nach 17 Staffeln voller Natur, Abenteuer und Liebesverwicklungen, stieg Wolff aus. Die Drehbuchschreiber ließen Rombach ein Reservat in Afrika erben, und Stefan Leitner, gespielt von Hardy Krüger jr., übernahm die Stelle in Küblach.
Der Wechsel brachte frisches Personal in die Serie, aber keinen frischen Wind, dem ZDF wurde der Küblacher-Kosmos zu eng. "Jeder Konflikt, jede Konstellation, die wir gespielt haben", sagt Serienchef Bassiner, "kam mir wie ein Déjà-vu vor." Auch das Paradies langweilt eben, wenn man immer nur dieselben Gesichter sieht.
"Es gibt kaum noch Familienserien, darum ist es wichtig, dass wir weitermachen", sagt Bassiner. Reality-Soaps, Krimis und Quizshows bedrohen das Vorabendidyll. Geht es verloren, verschwindet auch dessen Botschaft, fürchtet Bassiner: "Konflikte verbal lösen, gewaltfreie Geschichten erzählen, das sind alles Urbestandteile von ,Forsthaus Falkenau'." Noch stimmen die Quoten, die letzte Staffel sahen im Schnitt 4 Millionen Menschen, das entspricht einem Marktanteil von 14 Prozent. Der Umzug ist ein Update, damit auch weiterhin alles rund läuft.
Neue Kulisse
"Störzing" heißt der neue Ort, in dem Förster Stefan Leitner einen Naturpark aufbauen wird. Das Dorf soll am Ammersee liegen, auf einer Landkarte findet man es aber auch nicht. Das Forsthaus steht am Starnberger See, gedreht wird meist rund um München, das Best-of-Bayern-Prinzip geht weiter. Es gibt einen neuen Vorspann, neue Musik, neue Darsteller, gleichzeitig verschwinden über ein Dutzend Figuren aus der Serie. "Natürlich sind die Schauspieler traurig", sagt Bassiner, "aber wir können nicht langweilige Geschichten erzählen, um den Leuten einen Gefallen zu tun". Wer die heile Welt retten will, muss Opfer bringen.
In der Tourist Info von Markt Ortenburg beugt sich ein Rentnerpärchen von der Seite über Inge Sickingers Ordner. "Mit unserer Wahl für Ortenburg als Forsthaus Küblach haben wir das große Los gezogen, und ich danke für die Gastfreundschaft", hat Christian Wolff geschrieben, der erste Förster. 2004 war das, jetzt fragt die Rentnerin, ob hier "Forsthaus Falkenau" gedreht wurde. Inge Sickinger strahlt.
Drei Türen weiter sitzt Reinhold Hoenicka in einem Besprechungszimmer, ein Tisch, Topfpflanzen, Aktenordner. 16 Jahre hat Hoenicka Ortenburg regiert, kein Politiker mit Anzug und Krawatte, ein Machertyp. Wenn er über die Gemeinde spricht, klingt es, als meine er seine Firma, jetzt ist ein anderer Chef hier, durch das Rathaus geht Hoenicka aber immer noch, als wäre es seins.
Wenn das Forsthaus in Ortenburg gedreht wurde, half Hoenicka, organisierte eine Kuhherde und Statisten, einmal spielte er selbst mit. Wenn das Drehteam kam, wurde die griechische Taverne Akropolis in den Gasthof zum Ochsen verwandelt und ans Rathaus das Wappen von Küblach geschraubt. "Wenn man so etwas macht", sagt Hoenicka, "muss man kooperativ sein." Kam Küblach nach Ortenburg, ordnete man sich unter, half mit und nach, wohl in der Hoffnung, dass die Traumwelt ein wenig auf die Realität abfärbt.
Zur besten Sendezeit hat das "Forsthaus Falkenau" Werbung für Ortenburg gemacht, kostenlos, jahrelang. Die Gemeinde wirbt immer noch mit der Serie, auf ihrer Homepage und in Broschüren. "Die Nachhaltigkeit hält noch an", sagt Reinhold Hoenicka, "wir leben von der Nostalgie."
Doch auch die heile Welt bleibt nicht stehen. Das Rathaus, das Kopfsteinpflaster und die alten Häuser wird es weiter geben, Küblach aber wird irgendwann vergessen sein, die Touristen müssen Ortenburg ohne ihr Vorabendprogramm finden. Vielleicht werden die alten Folgen irgendwann wiederholt, dann würde Küblach auferstehen.
Verlässt man Ortenburg, kommt man an Dorfläden vorbei, an einem alten Brunnen und üppigen Blumenbeeten. Ein paar Meter weiter steht ein Schild, das Richtung Ortsausgang weist: "Recyclinghof" steht darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren