Umzug der Berliner Hockey-Eisbären: Palast ohne Gast
Nach dem Gewinn der Eishockey-Meisterschaft ziehen die Berliner Eisbären aus dem legendären Wellblechbau aus. Nicht nur eingefleischte Fans sehen den Umzug skeptisch.
BERLIN taz Der 23-jährige Stürmer Florian Busch zählt zu den großen Zukunftshoffnungen des deutschen Eishockeys. Dass gerade er am Sonntag in der Verlängerung mit seinem Tor zum 2:1 die Meisterschaft zugunsten der Eisbären Berlin entscheiden konnte, hatte er dem Deutschen Eishockeybund (DEB) zu verdanken. Obwohl sich Nationalspieler Busch Anfang März einer Dopingkontrolle entzog und erst Stunden später Reue zeigte, verzichteten die DEB-Funktionäre auf eine Sperre. Der finale Schuss der Saison entbehrte also nicht einer gewissen Pikanterie.
Moderne und Tradition begegneten sich im Verlauf der diesjährigen Finalserie zwischen den Eisbären Berlin und den Kölnern Haien oft. Die Berliner erwiesen sich mit dem jüngsten Team der Deutschen Eishockey Liga (DEL) als zukunftsfähiges Musterbeispiel in punkto Nachwuchsarbeit. Auch im entscheidenden Playoff-Endspiel traten die Eisbären mit nur sechs Ausländern an, obwohl theoretisch zwölf erlaubt wären. Eine einmalige Quote in der DEL-Geschichte. Der Verein ist längst nicht mehr auf teure Importe von Starspielern angewiesen wie die Konkurrenz, weil der Kader Jahr für Jahr mit Talenten aus dem eigenen Farmteam verstärkt wird. Das stellte sich auch im Duell mit den Kölner Haien als ein entscheidender Vorteil heraus.
Doch in einem Vergleich sahen die Berliner sprichwörtlich alt aus. In Köln füllten am Sonntag über 18.000 Fans die ausverkaufte Hightech-Arena, in den betagten "Wellblechpalast" in Hohenschönhausen passen nur 4.695 Zuschauer rein. Doch der ist nun Geschichte. Im Herbst beziehen die Eisbären ebenfalls eine hypermoderne Multifunktionshalle. Hiermit geht auch die Epoche des funktionalen Sportstättenbaus zu Ende. Die Zukunft ist auf Unterhaltung ausgelegt. Der Besitzer der Eisbären, die Anschutz Entertainment Group, hat die neue Heimstätte am Ostbahnhof mit allerlei Schnickschnack errichten lassen. Die Halle wird bis zu 17.000 Zuschauern Platz bieten.
Wie sich durch den Finalsieg in Köln herausstellte, endete am Freitagabend die Ära des Wellblechs recht unspektakulär. Denn niemand konnte an diesem Abend wissen, dass er tatsächlich zum letzten Mal hier gewesen war. Entsprechend diffus war die Stimmungslage. Nachdem die Eisbären 31 Sekunden vor der Schlusssirene das 4:3 erzielt hatten, dachten die euphorisierten Anhänger allein an die Meisterschaft und das nächste Spiel in Köln und skandierten: "Nur noch 60 Minuten" Vermutlich wurden an diesem Abend beispiellos hohe Lautstärken erreicht. Dauerkartenbesitzer berichteten, es wäre ja immer ausverkauft, aber so voll sei es hier noch nie gewesen.
Wenige Minuten nach den Gipfelstürmen der Begeisterung mehrte sich jedoch die Zahl derer, die einfach nur schweigend auf den Rängen saßen. Andere Fans waren in ernsthafte Diskussionen verstrickt. Überall, wo man hinhörte, ging es um die Frage: War dies das letzte Spiel im Wellblechpalast?
Eine Antwort darauf konnte natürlich niemand geben. So mancher aber wünschte sich ganz offenherzig eine Niederlage in Köln, um sich "anständig" von der Halle mit dem blassgrünen Dach verabschieden zu können. Andere wiederum wandten ein, ihre Nerven würden dies nicht mitmachen, sie wollten die Meisterschaft keinesfalls riskieren. Einig wurde man sich nicht.
In einem stimmen aber alle Eisbären-Fans überein. Der Wellblechpalast, sagen sie, sei eine Kultstätte. Immer wieder beschwören sie die Tradition, und fast scheint es so, als seien ihre Großväter hier schon vor dem ersten Weltkrieg zusammengestanden. Dabei interessierten sich außer Erich Mielke in den 80er-Jahren in Ost-Berlin nicht so viele für Eishockey. Die meisten Zuschauer kamen erst nach der Wende, als es dem Verein gelang, sich gegen die Konkurrenz im Westen zu etablieren.
Seitdem drängen sie sich unterm Wellblechdach eng zusammen und schreien: "Ost-, Ost-, Ostberlin" oder "Dyyynamo". SC Dynamo hieß der Verein zu DDR-Zeiten. Ob sich dieser Oppositionsgeist auch in der neuen Arena mit den acht Rolltreppen und den gepolsterten Sitzplätzen halten wird, bleibt abzuwarten.
Die Anschutz Group hat versprochen, die Heimspiele der Eisbären "zu einem völlig neuen Erlebnis zu machen". Viele Berliner Fans haben gerade davor Angst. "So gut, wie es war, wird es nicht mehr", sagt ein Anhänger des Fanclubs Bärenkralle. Das hätten ihnen auch Zuschauer in Köln, Hannover und Hamburg bestätigt. Er sagt: "Seitdem diese Clubs in neuen Hallen spielen, laufen dort vor allem Schlipsträger herum."
Gute Stimmung könne man in diesen Gebäuden nur schwer entfachen. Die billigsten Finalkarten in Köln waren mit 35 Euro fast doppelt so teuer wie in Berlin (20). Wenn die Preise in der Hauptstadt steigen, wird sich die Eisbären-Stammkundschaft schwertun. Eine große Zahl der Fans kommt aus Bezirken mit hoher Arbeitslosigkeit.
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