: Umweltdreck soll seinen Preis haben
Bundestag diskutierte Umwelthaftungsrecht / Grüne: Haftung auch für Schäden ohne individuellen Verursacher wie Waldsterben und Umweltkrankheiten / Industrie soll hierfür Fonds bilden / Bundesregierung begnügt sich statt eines eigenen Entwurfs mit „Eckwerten“ ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Auf die Bundesregierung läßt der Abgeordnete Hösch (CDU) nichts kommen. „Nicht Schnelligkeit, sondern Gründlichkeit und Augenmaß“ seien gefordert beim Umweltrecht, kanzelte der Abgeordnete am Donnerstag abend im Bundestag die Grünen ab. Die nämlich haben vorgelegt, was die Bundesregierung seit Jahren lediglich verspricht: einen Gesetzentwurf zum Umwelthaftungsrecht.
Die Bundesregierung steht in einer Bringschuld. Daß das bisherige Rechtsinstrumentarium bei Umweltschäden völlig unzureichend ist, darüber sind sich Juristen und Politiker seit Jahren einig. Für Waldsterben und Umweltkrankheiten kann niemand haftbar gemacht werden. Außer bei grob kriminellen Handlungen von Betrieben sind die Geschädigten bei Schadensersatzklagen hilflos; oft genug scheitern sie bereits an der notwendigen Beweislast. Umweltschäden, die aus dem normalen Betrieb von gefährlichen Anlagen herrühren, sind einer Haftung gänzlich entzogen. Und weil die Zerstörung der Umwelt keinen Preis hat, werden präventive Maßnahmen bei den Betrieben unterlassen - für die Folgekosten darf die Allgemeinheit bezahlen.
Der Brand beim Chemiekonzern Sandoz im Dezember 1986, der den Rhein nachhaltig verseuchte, brachte auch die Bundesregierung auf Trab. Bundeskanzler Kohl versicherte in seiner Regierungserklärung im Frühjahr 1987, man werde ein neues Haftungsrecht schaffen. Dabei blieb es: zweieinhalb Jahre passierte gar nichts. Erst vor wenigen Wochen tat das Kabinett kund, nun habe man sich auf „Eckwerte“ verständigt. Die Regierung wolle „Tätigkeit suggerieren“, bewertet der Abgeordnete der Grünen, Gerald Häfner dieses „non-paper“. Von einem „völlig unverbindlichen Diskussionsentwurf“ spricht auch der SPD-Vertreter Hermann Bachmeier. Er glaubt nicht einmal, daß die Regierung in dieser Wahlperiode überhaupt noch einen Entwurf vorlegen wird. Fortschritte versprechen die vom Justizminister Engelhard (FDP) vorgelegten „Eckwerte“ in drei Punkten:
-Die Gefährdungshaftung soll danach verschuldensunabhängig gelten und nicht wie bisher nur, wenn dem Verursacher vorsätzliches Handeln nachzuweisen ist.
-Auch für Schäden, die von einem störungsfreien, behördlich genehmigten Betrieb ausgehen, soll der Betreiber künftig haften.
-Vereinfacht werden soll außerdem die Beweislast der Geschädigten; sie sollen u.a. ein Auskunftsrecht erhalten.
Zustimmung lösten diese Eckwerte bei der Opposition jedoch nicht aus. Die SPD sprach von einer „Mogelpackung“. „Was der eine Paragraph gibt, kassiert der nächste wieder ein“, klagt Hermann Bachmeier. Die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung gilt nicht für alle Betriebe, sondern wird eingeschränkt auf die Anlagen, die im Bundesimmissionsschutzgesetz aufgeführt sind. Die Haftung bei Normalbetrieb entfällt zudem, wenn „die Beeinträchtigung nach den ortsüblichen Verhältnissen zumutbar ist“, beschreibt Bachmeier das Dilemma. Eine obligatorische Haftpflichtversicherung soll nur für besonders gefährlich angesehene Anlagen gelten; die anderen Betriebe können sich Schadensforderungen weiterhin durch Konkurs entziehen.
Vor allem aber mogelt sich der Entwurf um das entscheidende Problem einer Regelung für sogenannte „Summations- oder Distanzschäden“ herum, rügt die Opposition. Bei Waldschäden, die durch eine Vielzahl von unbekannten Verursachern entstehen, stehen die Waldbesitzer nach wie vor dumm da. Die Grünen ergänzen deshalb in ihrem Gesetzesentwurf die individualrechtlichen Haftungsansprüche um eine Fondslösung: mit dem Fonds sollen Schäden ausgeglichen werden, die keinem individuellen Verursacher zuzuordnen sind.
Gerald Häfner (Grüne) verweist in seinem Entwurf, der nach der Diskussion im Bundestag nun in den Ausschüssen weiterberaten wird, auf existierende Umwelthaftungsfonds in Japan, den Vereinigten Staaten und den Niederlanden. Nutznießerinnen sollen auch die Sozialversicherungen und die Krankenkassen sein. Die Kosten für umweltbedingte Krankheiten und Rentenzahlungen müssen jetzt nämlich ebenfalls von der Allgemeinheit getragen werden. Um den Fonds zu finanzieren, sollen die Verursacher zur Kasse gebeten werden: die Grünen schlagen Umweltabgaben vor, die für die Herstellung und Verwendung umweltgefährdender Stoffe erhoben werden sollen. Eines pädagogischen Winkelzugs kann sich der Entwurf nicht enthalten: an den Fonds dürfen sich die Geschädigten erst dann wenden, wenn sie vergeblich versucht haben, anderweitig Schadensersatz zu erhalten. Mit der Regelung, die den Bürgern „ein Aktivwerden für ihre eigenen Angelegenheiten abverlangt“, sollen „die eigentlichen Verursacher erkennbar bleiben“, sagt die Mitarbeiterin von Gerald Häfner Katrin Becker-Schwarze.
Von den Regierungsparteien hat der Entwurf der Grünen nur Schelte erhalten. Justizstaatssekretär Jahn sprach am Donnerstag abend von „uferloser Haftung“ und einer „das Rechtssystem sprengenden Lösung“. Für den Abgeordneten Kleinert (FDP) hat das Leben in der Bundesrepublik eben seinen Preis: Weil die Schäden zu unserer Zivilisation gehörten, müßten sie auch von allen bezahlt werden.
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