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Umstrittenes Pro und Contra in „Die Zeit“Man lässt es jetzt

Als „Die Zeit“ über private Seenotrettung debattierte, war der Zoff riesig. Jetzt war das Stück für einen Preis nominiert – allerdings nur kurz.

Co-Autorin Caterina Lobenstein erwirkte, dass die Nominierung zurückgezogen wurde Foto: Tom Maelsa

Nichts ist so oll wie die Zeitung von gestern, sagt man. Manche Texte haben hingegen eine erstaunliche Langlebigkeit. „Oder soll man es lassen?“ ist so einer. Gedruckt hat ihn die Wochenzeitung Die Zeit im Juli 2018 als Pro und Contra zur privaten Seenotrettung im Mittelmeer. Als letzte Woche die Jury des Theodor-Wolff-Preises für Journalismus bekannt gab, dass der Beitrag in der Kategorie „Meinung überregional“ nominiert ist, fügte sich der Karriere des Beitrags eine neue Episode hinzu. Und gleich noch eine, als die Co-Verfasserin Caterina Lobenstein jetzt erwirkte, dass die Nominierung wieder zurückgezogen wird.

Als die Zeit im letzten Sommer fragte, ob auch Nichtregierungsorganisationen Flüchtende im Mittelmeer retten sollten, führte das zu massiver Ablehnung. Im Blatt fand sich ein Pro von Lobenstein, die ­private Hilfe auf Rettungsschiffen verteidigte, sowie ein Contra von Mariam Lau, die Bedenken äußerte: „Die Retter sind längst Teil des Geschäftsmodells der Schlepper“, war einer der markigeren Sätze darin. Die Redaktion stellte beides unter ein Bild von Menschen mit Schwimmweste und die zugespitzte Überschrift.

Vor allem an diesem Layout arbeiteten sich Kommentator*innen ab, einige fanden, die Zeit stelle Rettungseinsätze generell in Frage (was nicht stimmt). Mit Effekt: In der digitalen Version änderte die Zeit die Überschrift in „Gut? Oder nur gut gemeint?“ Auf der Webseite steht indes noch der ursprüngliche Titel, auch wenn der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich diesen in der Zwischenzeit als Fehler bezeichnet hat und „von Herzen“ um Entschuldigung bat.

Klüger als der Titel

Offensichtlich fanden aber nicht alle das Werk missraten, in der FAZ gab es Kritik am Einknicken vor der Kritik. Für den Wolff-Preis wurde es von Lesern nominiert. Die Jury, in der unter anderem Nikolaus Blome von Bild und Christian Lindner von BamS sitzen, wuchtete den Vorschlag auf die Shortlist – ohne das Wissen der Autorinnen. Daraufhin meldete sich Lobenstein und bat darum, von der Nominiertenliste gestrichen zu werden. Zwar stehe sie hinter ihrem Text, die Aufmachung sei aber falsch. „Überschrift, Foto und Texte erwecken im Gesamtklang den Eindruck, die […] Rettung von Menschenleben sei verhandelbar“, heißt es in ihrer Stellungnahme. „Von dieser Darstellung möchte ich mich distanzieren.“

Ihre Kollegin Mariam Lau hält das Stück nach wie vor für legitim: „Ich fand es sehr gut, dass wir diesen Beitrag gemacht haben. Die Nominierung wäre ein Signal gewesen: Kudos dafür, dass ihr eine wichtige Debatte führt“, sagt sie der taz. Gerade Laus Contra war auch inhaltlich stark kritisiert worden, so wurde in dieser Zeitung der Vergleich zwischen privaten Seenotrettern und Bürgerwehren als „unsäglich schief“ kritisiert.

Der Titel des Stücks lebt jedenfalls weiter: „Oder soll man es lassen?“, floskelten seither die Rheinische Post über die SPD, der Deutschlandfunk über das Impfen oder die Welt, besonders meta, über Pro-und-Contra-Debatten. Viele Menschen, die auf Twitter über den Beitrag schimpfen, teilen nach wie vor nur Bild und Überschrift. Wer die ganze Zeitungsseite betrachtet, bemerkt hingegen, dass sie klüger ist als ihr Titel.

Überschrift, Foto und Texte erwecken im Gesamtklang den Eindruck, die […] Rettung von Menschenleben sei verhandelbar

Caterina Lobenstein, Journalistin

So lässt sich zum (vorläufigen) Ende seines Werdegangs wenigstens eines aus dem Text lernen: Das publizistische Werk im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit lebt noch stärker von seiner Aufmachung. Texte, Bilder und Typografie, die im Gesamten durchaus Sinn ergeben können, überstehen nicht zwangsläufig das Internet. Der Reporter Raphael Thelen hat das kürzlich erfahren, als er sich eine anderthalbjährige Recherche für das SZ Magazin über den AfD-Mann Markus Frohnmaier mit dem Teaser zerschoss, sie hätten gemeinsam „gestritten, gelacht und Rum getrunken“. Wobei man das wirklich hätte lassen können.

Offenlegung: Auch der taz-Redakteur Daniel Schulz ist in der Kategorie „Meinung überregional“ für den Theodor-Wolff-Preis nominiert.

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10 Kommentare

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  • @Linksman Es geht in dem Artikel darum, ob man Flüchtende überhaupt retten soll, oder die ganze Sache lieber lässt und so tut als würde da nichts passieren im Mittelmeer.. mit dem ersten Satz ist hier also gemeint, dass nicht verhandelbar ist, dass man grundsätzlich Menschen rettet wenn sie in Not sind.



    In dem anderen von Ihnen zitierten Ausspruch geht es ja zunächst nicht darum, ob man überhaupt rettet, sondern lediglich in welcher Reihenfolge. Man kann das natürlich hinterfragen. Ich finde den Satz auch nicht mehr unbedingt zeitgemäß. Aber es ist halt doch noch mal ganz anders, als Seenotrettung bestimmter Personengruppen GENERELL in Frage zu stellen oder abzulehnen, nur weil sie vielleicht weitere "unbequeme" Schritte/ Fragen nach sich zieht (Unterbringung, Integration,..) und einige sich mit der Existenz dieser Menschen und ihrer Nöte nicht belastet sehen wollen...

    Aber Hauptsache, man kann wieder einen augenscheinlichen "Beleg" dafür einwerfen, wie benachteiligt Männer in unserer Gesellschaft angeblich sind.....

  • Was mich ärgert: Dass die ZEIT es schafft, den Eindruck zu erwecken, sie würden ausgewogen berichten. De facto war auch das ja ein Verschieben des Overton-Fensters: Es ging nicht um die Frage, ob man Seenotrettung *ausweiten* oder *reduzieren* soll (das wäre ausgewogen gewesen); Sondern darum, ob man sie beibehalten oder abschaffen soll.



    Die ZEIT war mal eine liberale Zeitung. Inzwischen verkaufen sie uns "liberal-konservativ" oder "radikal konservativ" als "das ganze Spektrum an Meinungen". Das finde ich gefährlich …

  • Hmm, Rettung von Menschenleben ist nicht verhandelbar?



    Was ist dann mit "Frauen und Kinder zuerst"?

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Ich wollte mich hier weder pro noch contra outen, lediglich dies hier anmerken:

    Nächste Woche Donnerstag, am 18.04. werden die aktuellen IVW-Auflagenzahlen für das 1. Quartal 2019 veröffentlicht - der offenen Interpretation freigestellt ...

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @90857 (Profil gelöscht):

      Wenn niemensch auf See ist, kann auch niemensch die Toten zählen. Aus Logikgründen geht die Zahl der gezählten Toten also zurück. Aber ist das ein Erfolg?

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @74450 (Profil gelöscht):

        Ok, das mit den Auflagezahlen war jetzt etwas zu weit hergeholt. Demnächst dazu vielleicht mehr ...

        Aber zu den (gezählten) Toten im Mittelmeer habe ich bereits 2012 mal etwas geschrieben.

        privatausgabe.net/node/334

        Zugegeben bzw. beabsichtigt, ist in diesem Blogtext auch nicht sofort erkennbar, um welche Menschen es damals, und in allen Qualitätsmedien über Wochen thematisiert, denn nun ging.

        Die vor Lampedusa waren es jedenfalls nicht ...

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Hierbei gibt es keinen „Erfolg“. Wenn man eine sichere Fähr- oder Flugverbindung einrichten würde (was ja eigentlich logisch wäre), kämen unzählige Migranten, das wäre in Europa nicht vermittelbar und würde zum massiven Rechtsruck mit Regierungsmehrheit führen.



        So kommen einige trotzdem durch, viele werden durch die Blockade von der Reise abgehalten und einige sterben. Mit diesem Gewissenskonflikt werden die Europäer einige Jahrzehnte leben müssen.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Verkommen und unappetitlich war schon der Artikel. Noch verkommener und unappetitlicher ist der Vorschlag ihn für einen Preis zu nominieren.

    Wundern tut einen das aber nicht wenn man dies hier liest:

    "Die Jury, in der unter anderem Nikolaus Blome von Bild und Christian Lindner von BamS sitzen, wuchtete den Vorschlag auf die Shortlist"

    Wenn Leute von den Fachblättern für Verkommenheit und Unappetitlichkeit diesen Vorschlag machen, dann hat das schon wieder seine Richtigkeit.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Ich finde der Preis für den Artikel hätte durchaus was für sich gehabt: es stimmt, die Fragestellung ist an sich eigentlich unfassbar. Aber der Artikel zeigt auf diese Weise, wie weit es mit der Gesellschaft gekommen ist. In der EU und ihren Mitgliedsstaaten, einer Gemeinschaft, welche sich gerne auf Menschenrechte beruft, für Frieden und Diplomatie stehen will, wird offiziell darüber diskutiert, ob man Menschen retten soll oder nicht.

    • 9G
      94797 (Profil gelöscht)
      @88181 (Profil gelöscht):

      Stimmt.



      Ich möchte mal eine Journalist*in aus den Maimstreammedien auf einem Seenotrwttungsschiff seh'n.



      Drüber schwafeln lässt sich trefflich.