Umstrittener Megastaudamm: Europäer drohen Türkei mit Ausstieg
Beim geplanten Megastaudamm am Tigris ist noch immer unklar, wo die Bewohner des Überflutungsgebietes künftig leben sollen. Nun treten die deutschen Geldgeber auf die Notbremse.
Die Stimmung in der deutsch-türkischen Delegation war euphorisch, als sie am Dienstagabend das Entwicklungshilfe-Ministerium (BMZ) in Berlin verließ. Grund war die Nachricht, die BMZ-Staatssekretär Erich Stather überbrachte: Die europäischen Kreditagenturen wollen ihre Exportbürgschaften für den Bau des Ilisu-Staudamms an der Grenze zu Syrien und Irak zurückziehen, wenn die Türkei in dem Projekt weiterhin Umwelt- und Sozialstandards ignoriert.
"Unsere Geduld ist aufgebraucht", teilte das BMZ der taz mit. Die Türkei habe gegen die vereinbarten Schutzmaßnahmen in den Bereichen Umsiedlungen, Umwelt und Kulturgüter verstoßen. Es sei nun die "allerletzte Chance" gekommen. "Wenn die notwendigen Maßnahmen jetzt nicht erfolgen, werden die Liefer- und Kreditverträge beendet".
Diesen "Blauen Brief" bestätigte am Mittwoch eine Sprecherin der Euler Hermes Kreditversicherung: "Wir haben dem Bau-Konsortium eine vertraglich vorgesehene Umweltstörungsanzeige zugestellt, weil die für den Baubeginn erforderlichen Umwelt- und Sozialauflagen bei Weitem nicht erfüllt sind", sagte Euler Hermes-Sprecherin Edna Schöne-Alaluf der taz. Nun müsse die Türkei innerhalb von 60 Tagen deutliche Fortschritte nachweisen.
Die Türkei plant bereits seit 60 Jahren einen Staudamm im Grenzgebiet zu Syrien und Irak. Doch immer wieder ist die Realisierung gescheitert. Die Weltbank lehnte es bereits im Jahr 1984 wegen verheerender Auswirkungen des Staudamms auf Mensch und Natur ab, das Projekt finanziell zu unterstützen. Nun haben sich an dem jetzigen Ilisu-Konsortium neben türkischen Firmen auch Baukonzerne aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt. Staatliche Kreditagenturen sichern die Bauleistungen mit Bürgschaften über mindestens 450 Millionen Euro ab.
Einmal fertiggestellt, soll der zwei Milliarden Euro teure Staudamm den Tigris auf einer Fläche von 305 Quadratkilometern in einen Stausee verwandeln. Dabei würde die 12.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf restlos überflutet werden, etwa 60.000 Menschen verlören ihre Heimat. Deshalb haben die Kreditagenturen ihre Garantien an 153 Auflagen geknüpft, um die negativen Auswirkungen für Menschen, Umwelt und Kultur möglichst gering zu halten. Doch obwohl die Bauarbeiten eigentlich in diesen Tagen beginnen sollen, ist bislang unklar, wohin die Bewohner umgesiedelt und wie die kulturellen Schätze von Hasankeyf gerettet werden sollen. Dazu gehören 6.000 weltweit einzigartige Höhlen sowie die größte Steinbrücke des Mittelalters.
"Nie zuvor hat es einen derartigen diplomatischen Schritt in der Geschichte der europäischen Exportwirtschaft gegeben", sagte Ulrich Eichelmann von der österreichischen Entwicklungsorganisation ECA Watch. Er glaubt, dass mit dem Schritt das Scheitern des umstrittenen Großprojektes eingeläutet ist. "Durch die Aktivierung der Vertragsklausel könnte der Ausstieg pünktlich zum Nikolaus am 6. Dezember vollzogen werden", sagte Eichelmann.
Edna Schöne-Alaluf von Euler Hermes warnt jedoch davor, schon von einem Ausstieg der Bürgen zu sprechen. "Unser Ziel ist es, innerhalb von 60 Tagen in den Verhandlungen mit der Türkei deutliche Fortschritte zu erzielen", sagte Schöne-Alaluf. Entscheidend für die Kreditagenturen sei, dass die Bauarbeiten nicht starten. Außerdem wolle man tatsächliche Fortschritte beim Thema Umsiedlung sehen. "Sollten diese Ziele innerhalb der Frist erreicht werden, gehe ich davon aus, dass der Ausstieg vorläufig nicht erfolgt", sagte Schöne-Alaluf.
"Wir sehen jetzt Licht am Ende des Tunnels und sind ermutigt, dass wir Hasankeyf retten können", sagte Abdul Kusen, Bürgermeister der Stadt Hasankeyf der taz. "Selbst wenn der Brief nicht das Ende des Konsortium bedeutet, ist er eine Erleichterung für alle Menschen, die durch den Staudamm bedroht sind".
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