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Umstrittene VerkaufspläneEhemalige Schule soll kein Eigentum werden

Linke Aktivisten besetzen kurzfristig eine frühere Schule in Weißensee. Die will der Liegenschaftsfonds an den Meistbietenden verkaufen - ohne soziale Kriterien einzubeziehen.

Allein Geld und die Bonität der Bieter sollen darüber entscheiden, an wen die ehemalige Musikschule Weißensee geht. Bild: DPA

So ein Gedränge hatte der Liegenschaftsfonds wohl nicht erwartet: Zum Besichtigungstermin am Dienstag um 10 Uhr vormittags in der ehemaligen Musikschule Weißensee kamen mehr als 40 Interessenten. Doch nicht alle waren eingeladen, das seit Ende 2009 leer stehende Gebäude in der Falkenberger Straße 183 zu begehen. Rund 40 AktivistInnen der Gruppe Orphs nutzten den Termin für eine "Wiederbelebung des Gebäudes", wie ein Transparent aus dem Fenster der 1. Etage verkündete.

Kaum hatte der Hausmeister die Tür aufgeschlossen, machten sie es sich in den Räumen mit Sekt und einem kleinen Imbiss gemütlich. Während im Erdgeschoss laute Musik aus dem Ghettoblaster schallte, spielte ein junger Mann auf einen Klavier, das die AktivistInnen vor der Eingangstür aufgebaut hatten. Am frühen Nachmittag wurde es von der Polizei abtransportiert. Schon gegen 13 Uhr wurden 13 Personen, die sich noch in dem Gebäude befunden haben, von der Polizei geräumt. Alle wurden nach einer Feststellung der Personalien sofort freigelassen und müssen mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs rechnen.

Unter dem Namen Orphs firmiert eine Gruppe junger Menschen aus Weißensee, SchülerInnen, Auszubildende und Studierende, die sich im Stadtteil politisch engagieren. Für die ehemalige Schule haben sie ein Nutzungskonzept verfasst und im Internet veröffentlicht. Danach soll im Erdgeschoss ein Kunstraum und Treffpunkt für die Nachbarschaft eingerichtet werden. Auch den Garten hinter dem Haus wollen sie gemeinschaftlich bearbeiten. Die obere Etage des Hauses könnte als Wohnraum für rund 15 Menschen dienen. Als Rechtsform soll ein an dem Mietshäusersyndikat orientiertes Genossenschaftsmodell zur Anwendung kommen. "Das Haus kommt uns nicht zurück auf den Markt und gehört denen, die es nutzen", so Orphs-Aktivistin Judith.

Auch über die Finanzierung haben sich die Orphs Gedanken gemacht. " Wir werden ein sechsstelliges Gebot machen und dennoch darauf achten, dass wir bei bezahlbarem Wohn- und Gemeinschaftsraum ankommen", sagt Enrico von den Orphs. Allerdings sei man nicht bereit, sich in einen Bieterwettbewerb mit einer Baugruppe zu begeben, die auf ihrer Homepage unter dem Motto "Eigentum bilden - aber richtig" 300.000 Euro für das Gebäude bieten will.

Die Chancen, das Haus zu erwerben, stehen daher für die Orphs nicht so gut. "Die Gruppe kann gern mitbieten, das Verfahren läuft noch bis nächste Woche. Doch dabei sind der Höchstpreis und die Bonität der BewerberInnen die einzigen Bedingungen", sagte die Pressesprecherin des Liegenschaftsfonds, Irina Dähne, der taz. Die Orphs hatten diese Vergabepolitik als unsozial kritisiert. Ihre Behörde sei jedoch die falsche Adresse für die Schelte, so Dähne. Es sei der politische Wille des Lenkungsausschusses des Liegenschaftsfonds, dieses Gebäude im Rahmen des Bieterverfahrens zu verkaufen, bei dem der Höchstpreis zählt - und in diesem Fall keine sozialen Kriterien aufzustellen.

Neben mehreren Senatoren ist im Lenkungsausschuss auch das für die Immobilie zuständige Pankower Bezirksamt entscheidungsbefugt. Die Bezirksstadträtin für Jugend und Immobilien Christine Keil (Die Linke) war für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht erreichbar. Wegen einer Sitzung habe sie auch keine Zeit gehabt, sich das Anliegen der Orphs während der Aktion erläutern zu lassen.

Lediglich Patrick Technau, der für die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Pankow sitzt, war als Privatperson während der Freiraumaktion vor Ort. Er betonte, dass der Bezirk durchaus die Möglichkeit habe, das Grundstück in eigener Regie zu nutzen.

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4 Kommentare

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  • F
    Friedrichshainer

    "Danach soll im Erdgeschoss ein Kunstraum und Treffpunkt für die Nachbarschaft eingerichtet werden. Auch den Garten hinter dem Haus wollen sie gemeinschaftlich bearbeiten."

     

    Das Gerede von "offen für alle", "gemeinschaftlich" u.s.w. ist doch nichts weiter als pure Heuchelei. Solche Häuser werden am Ende ein Szenetreff, zu dem nur ein enger Kreis von Gleichgesinnten Zugang hat. Ich laufe seit Jahren täglich zweimal mit Anzug und Krawatte auf dem Weg zur Arbeit und zurück am sogenannten Dorfplatz (Rigaer/Ecke Liebigstr.) vorbei und werde jedes mal schräg angeguckt, Abends mit steigendem Alkoholpegel auch gerne mal mit einem dummen Spruch beglückt. Noch nie wurde ich gefragt, ob ich nichtmal auf ein Bierchen oder Gespräch reinkommen will, obwohl ich ein bekanntes Gesicht und offensichtlich ein Nachbar bin. Wenn in solchen Häusern schon die Arbeitskleidung eines Menschen ausreicht, um solche Reaktionen hervorzurufen, weiß ich genau, was man dort unter Offenheit versteht.

  • B
    @Besetzt

    In einem Punkt hast du recht, bei den meisten anderen fehlt dir offenbar die nötige Hintergrundinfo.

    Das wichtigste zuerst: Die Musikschule existiert weiter, lediglich an einem neuen Standort (Bizetstraße) mit Platz für 900 Schüler. Also keine Sorge um die HarzIV Kinder, die dürfen weiter Flöte lernen. Das alte Gebäude war schlicht und einfach zu baufällig.

    Richtig ist: der Staat ist kein Unternehmer. Er nimmt kein Geld aus Produktionsmitteln ein. Er ist nichts weiter als ein Umverteiler, nimmt Geld von Leuten, die Einkommen erzielen oder Waren konsumieren und erfüllt damit seine gesellschaftlichen Aufträge (mehr oder weniger gut). Das dafür hier und da mal eine Immobilie gehalten werden muss, ist notwendiges Mittel und kein Selbstzweck.

    Beschäftige dich mal mit Wirtschaftlichkeitsrechnung im Bezug auf den Aufwand für Instandsetzung, Erhalt und Unterhalt einer solchen Immobilie und der Option, den Verkaufserlös an anderer Stelle in Infrastruktur zu investieren.

    Was das Privateigentum und Kohle verdienen angeht, ist der Immobilienmarkt in Deutschland überschätzt. Die Leute, die dort eine Wohnung bauen wollen, müssen vor allem erstmal viel Kohle ausgeben. Wahrscheinlich ist das Primärziel, einen Platz zum Wohnen zu haben. Wenn sie Glück haben, ist der Wert der Wohnung nach Abzug aller Erhaltungs- und Kreditkosten in 20 Jahren ein paar Prozent höher als heute. Aber wer Kohle verdienen will, der zockt besser an die Börse oder gründet ein Unternehmen.

    Dass nur einige wenige etwas davon haben, dass neue Wohnungen gebaut werden, ist (absichtlich?) kurz gedacht. Jede zusätzliche Wohnung ist positiv für die Angebot/Nachfrage-Bilanz am Wohnungsmarkt. Handwerker bekommen Aufträge. Berlin bekommt 4,5% Grunderwerbsteuer etc.

    PS: Falls die Besetzer eine gemeinnützige Musikschule oder Kita dort betreiben und da ehrenamtlich arbeiten wollen, findet das Projekt natürlich meine volle Unterstützung!!

  • B
    Besetzt...

    Du hast auf keinen fall unrecht mit der These der Staat braucht Geld!

     

    Doch wie wird das Geld erwirtschaften? Da würde ich vielleicht noch mal anders vorgehen, denn ich meine wie ist das denn bitte: Also (natürlich ist der Staat kein Unternehme, und darf es auch nie werden) wenn ein unternehmen seine Produktionsmittel (Häuser und Mieteinnahmen)verkauft, wie will es dann noch Geld einnehmen??

     

    Sicher du sprichst von Kitas aber was ist bitte mit Schulen? War es nicht eine Schule? Ja eine Musikschule und nun frag mal die eine oder andere Hatz IV beziehende Familie die sich nun dank der unglaublichen Großzügigkeit der Regierung durch das Bildungspaket einmal im Monat ihre Kinder in die Musikschule schicken dürfen, dort hätte vielleicht eine solche entstehen können. Nun wird sie verkauft und nicht renoviert! Nun wird es zu Privatbesitz von Leuten die damit nur Kohle verdiene möchten! Nun haben nur einige wenige etwas davon keine neue Gemeinnützige Musikschule, keine Kita…

     

    und dann wird über den ?sozialen Wohnungsbau? Philosophiert...

     

    Sei renitent!

    Sei unkommerziell!

    Sei Besetzer_in!

     

    TU WAT!

     

    Sei Berlin!!

  • C
    Claudi

    Was soll daran unsozial sein, wenn der Lifo gesellschaftliches Eigentum zum höchstmöglichen Preis verkauft um so die höchstmögliche Summe Geld der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Die Stadt (=wir) braucht dringend Geld, überall fehlt es (Kitas, Straßen ...). Das bekommt man nicht, indem die Stadt ihre Immobilien verschenkt.

    Und wenn sich junge Familien in Eigeninitiative Wohnraum schaffen wollen, ist das wohl auch kaum weniger sozial als ein Partyraum für "Orphs".