■ Nebensachen aus Paris: Umstand mit Umstandsmode
Mein Umzug lag erst ein paar Monate zurück. Die Wohnung im Pariser Osten hatte mir auf Anhieb gefallen. Nicht nur, weil sie erschwinglich, hell und ruhig war, sondern auch, weil das Quartier eine angenehme Mischung von alteingesessenen Parisern und Imigranten aus aller Welt ist. Im Parterre des Hauses war ein Computerladen.
Die Vibrationen begannen an einem Montag. Plötzlich schwollen sie an, dann stoppten sie. Sekunden später legten sie wieder los. Am stärksten waren sie an meinem Arbeitsplatz, wo es mir nicht gelang, einen klaren Gedanken zu fassen. Bis zum Nachmittag versuchte ich, das Phänomen mit dem defekten Schleuderprogramm einer benachbarten Waschmaschine zu erklären.
Fündig wurde ich erst einen Tag später, als ich vor der Haustür in einen Berg von schwarzen Kleidern lief, der aus dem Parterreladen herauswankte. Der kleine Mann darunter entschuldigte sich und trug seine Last zu einem Lieferwagen. Der Computerladen war weg! An seiner Stelle waren ein halbes Dutzend Nähmaschinen aufgestellt worden, an denen Albanerinnen aus Ex-Jugoslawien Umstandsmoden fertigten. Die Betonwände des Hauses leiteten jeden Stich in die oberen Etagen weiter.
Der Patron der Nähstube nötigte mir eine Tasse Mokka auf und führte mich stolz zwischen seinen Stoffballen durch. Daß ich in unfreundlicher Absicht gekommen war, merkte er erst, als sein Cousin übersetzte. „Wir machen keinen Lärm, Madame“, sagte der Patron dann. Meine Nachbarn aus den oberen Etagen schauten mich mitleidig an, als ich erklärte, ich müsse ausziehen, wenn die Vibrationen anhielten. „Wir leben hier nicht auf dem Land, Madame“, informierten sie mich. Rechtsgelehrte Freunde wiesen mich darauf hin, daß Beschwerden wenig Erfolgsaussichten hätten.
Ich versuchte es trotzdem. In meinem Schreiben an die Hausverwaltung verwies ich auf den streßerzeugenden Charakter von Dauerlärm und auf die mögliche Schädigung der Bausubstanz durch Vibrationen. Am übernächsten Tag hing eine Kopie im Hauseingang. Verschiedene Nachbarn sprachen mich darauf an, daß sie „es“ nun auch hörten. Und die Hausverwaltung lud mich zu einer Versammlung der Eigentümer ein, wo meine Resolution „... muß schallisoliert werden“, hundertprozentige Zustimmung fand.
Zu meiner noch größeren Überraschung bemühten sich die Eigentümer, meine Resolution noch zu verschärfen. So setzten sie eine Frist und verlangten, daß ein unabhängiges Akustikingenieurbüro ein Gutachten erstelle. Am darauffolgenden Montag wurde das Ladenlokal geschlossen. Die Näherinnen sind nie wieder aufgetaucht. Der Patron war noch ein paar mal da, um die Maschinen abzuholen. Isoliert wurde nie. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen