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Umorientierungen eines verzweifelten Regimes

■ Sollte Kim Jong Il 1994 tatsächlich die Nachfolge des „Großen Führers“ antreten, bliebe ihm wohl kaum eine andere Möglichkeit, als Reformen einzuleiten

Die eilig arrangierte Visite Butros Ghalis in Nordkorea wirft einige Fragen auf. Während es einerseits Sinn macht, daß der höchste UN-Funktionär persönlich versucht, den Streit um Nordkoreas Atomprogramm zu entschärfen, bevor das Land Sanktionen durch den Sicherheitsrat provoziert, hat Butros Ghali vor Antritt seiner Reise bestritten, daß er dieses Thema in Pjöngjang diskutieren oder gar einen Vermittlungsversuch unternehmen wolle. Es hat ihn aber auch keiner um seine Intervention gebeten. Südkorea ist vielmehr darum besorgt, daß das Regime im Norden den Besuch propagandistisch nutzen könnte.

Andererseits hält das Regime Kim Il Sungs jedoch trotzig an seinem starren Kurs fest. Bis zu diesem Monat schien es, als sei an dieser Haltung nicht zu rütteln. Abgesehen vom aktuellen Auf und Ab beim Atomthema waren die Erklärungen aus Pjöngjang jahrzehntelang gleich: Im „Volksparadies“ stand alles immer zum Besten, stets wurden alle Planziele erfüllt. Vor allem aber machten Partei und Führung niemals Fehler.

Dieses Selbstbild ist in den vergangenen Jahren immer schwerer aufrechtzuerhalten gewesen. Ausländische Beobachter berichteten, daß Nordkoreas einst so spektakuläre Wirtschaftsentwicklung nun im Sumpf der bekannten Probleme unreformierter zentralistischer Wirtschaftsplanung steckengeblieben sei. Auch eine Reorganisation Ende der achtziger Jahre, als man begann, dem Kombinat-System der damaligen DDR nachzueifern, konnte nicht verhindern, daß sich in den 90ern ein Rückgang des Wirtschaftswachstums um bis zu fünf Prozent ergab.

Weil mit den letzten Tagen dieses Monats der dritte Sieben-Jahres-Plan (1987 bis 1993) zu Ende geht, befand sich das Regime in einem Dilemma. Eine Erfolgsmeldung hätte möglicherweise breite Proteste provoziert. Deshalb räumte die Führung erstmals ein, daß es „Probleme“ gegeben habe, die „ernsthaften Schaden“ für die Wirtschaft verursacht hätten. Und daß nicht viele der im Plan vorgegebenen Ziele erreicht worden seien. Dies führte aber nicht etwa zu Selbstkritik. Im Gegenteil: Nordkorea habe nichts falsch gemacht. Schuld an allem sei das Ausland: die imperialistischen Feinde, deren Aggression Pjöngjang zu erhöhten Rüstungsausgaben gezwungen hätte. Oder auch die ehemals sozialistischen Bruderstaaten, deren Zusammenbruch die Exportwirtschaft schwer getroffen hätte. Beides sind bestenfalls Halbwahrheiten. Ohne das Atomprogramm und Raketenentwicklung würde sich Washington herzlich wenig um Nordkorea kümmern. Und was die Märkte der sozialistischen Länder betrifft, hat Nordkorea immer alles genommen, was es sowohl von Moskau als auch Peking bekommen konnte – bei nur geringer Gegenleistung. Da wundert es nicht, daß beide schließlich die Geduld verloren und den Tropf abklemmten.

Nachdem es jahrzehntelang Autarkie gepredigt hatte, ist Kim Il Sungs Regime jetzt gezwungen, sie auch zu praktizieren. Die neuen Realitäten haben zu einer Umorientierung geführt: Statt eines neuen Plans wird es eine zwei- oder dreijährige Phase der „ökonomischen Anpassung“ geben. Dabei sollen Außenhandel, Landwirtschaft und Leichtindustrie Vorrang erhalten. Bislang hatte die Betonung vor allem auf der Schwerindustrie gelegen.

Lockerung der zentralen Planung nicht in Sicht

Bedeutet nun Umorientierung auch Reform? Bis jetzt hat es noch keine Anzeichen für eine Öffnung in Richtung Marktwirtschaft gegeben. Zwar ist eine Grenzregion im Nordosten zur Sonderwirtschaftszone erklärt worden. Auch erlaubt eine detaillierte neue Gesetzgebung jetzt eine kontrollierte Beteiligung ausländischer Firmen. Eine Lockerung der zentralen Planung jedoch ist nicht in Sicht. Zwar wurde erst kürzlich der ehemalige Außenhandelsminister Kim Dal Hyon von seinem Posten als Planungschef abgezogen – möglicherweise muß er als Sündenbock für das Versagen des Plans herhalten. Dennoch ist diese Entlassung nicht das beste Signal, um Reformhoffnungen zu bestärken.

Aber Kim Dal Hyons Rausschmiß war nur eine von mehreren Umbesetzungen in diesem Monat. Die aufsehenerregendste ist die Rückkehr von Kim Il Sungs jüngerem Bruder Kim Yong Ju. Der 71jährige hat nach 18 Jahren Politabstinenz wieder einen Sitz im Politbüro und ist Vizepräsident geworden. Einige Beobachter werten seine Rückkehr als Rückschlag für Kim Il Sungs Sohn, den „Lieben Führer“ Kim Jong Il. Schließlich führt der Sohn des „Großen Führers“ die Staatsgeschäfte und kann es kaum vermeiden, daß man auch ihn für die Probleme Nordkoreas verantwortlich macht.

Doch der Onkel ist wohl zu alt, um mit seinem Neffen um die Nachfolge zu konkurrieren. Zudem ist soviel Öffentlichkeitsarbeit in den Aufbau des „Lieben Führers“ investiert worden, daß eine Umkehr kaum noch möglich wäre. Wahrscheinlicher ist dagegen, daß der Onkel zurückgeholt wurde, um die Machtübergabe an Kim Jong Il zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund wären die jüngsten Umbildungen nur ein Vorspiel zur offiziellen Einsetzung Kim Jong Ils – höchstwahrscheinlich als Generalsekretär der Partei Anfang 1994. Dennoch ist die Tatsache, daß der „Liebe Führer“ – nachdem er über eine Dekade als Nachfolger Kim Il Sungs gehandelt wurde – immer noch solcher Protektion bedarf, erstaunlich. Das kann bedeuten, daß man an seiner Kompetenz zweifelt.

Sollte er aber tatsächlich die Macht übernehmen, könnte er an Popularität dadurch gewinnen, daß er Reformen einleitet. Das würde jedoch zur Folge haben, daß das Regime in den sauren Apfel beißt, ein gewisses Maß an Öffnung zu ermöglichen und sich zudem sein Einlenken in der Atomfrage abkaufen zu lassen. Ein Pessimist würde anführen, daß Pjöngjang Gelegenheit genug hatte, „normal“ zu agieren, wie die – fehlgeschlagenen – Annäherungsversuche an Tokio und Seoul seit 1990 belegen. Ein Optimist würde dagegenhalten, daß die Lage in Nordkorea noch nie zuvor so kritisch war, so daß Kim Jong Il gar keine andere Wahl hätte, als Reformen einzuleiten. Da gibt es aber leider auch noch die Möglichkeit, daß ein verzweifeltes Regime zum Äußersten entschlossen ist. Aidan Foster-Carter

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