Umgang mit ukrainischen Geflüchteten: Willkommen, neue Mitbürger!

Viele ukrainische Flüchtlinge werden in Deutschland bleiben. Dafür müssen genau jetzt kühne Lösungen begonnen werden, wie etwa komplett neue Stadtteile.

Ankunft TXL: Kaum anderthalb Jahre nach der Schließung ist Berlins alter Flughafen Tegel wieder geöffnet – als Ankunftszentrum für ukrainische Geflüchtete Foto: picture alliance/dpa/Ch. Gateau

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 22.03.22 | Putins Krieg gegen die Ukraine hat bereits Millionen Ukrainer, vor allem Frauen und Kinder, in die Flucht getrieben. 160.000 von ihnen, vor allem Frauen und Kinder, sind in der Bundesrepublik bereits registriert. Täglich kommen mehrere Tausend dazu.

Anders als bei der Fluchtdynamik 2015 haben die EU und die Bundesregierung diesmal die „Massenzustromrichtlinie“ (2001/55/EG – eingeführt für Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Jugoslawienkriegen) in Kraft gesetzt. Die Flüchtlinge aus der Ukraine dürfen arbeiten – sofort nach ihrer Registrierung mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus für bis zu drei Jahre, angestellt oder auch selbständig. Sie haben Anspruch auf Unterbringung und öffentliche Unterstützung.

Die Solidarität der Zivilgesellschaft ist groß. Ansonsten wären die Behörden mit der Aufnahme der Flüchtlinge längst überfordert. Die Zahl der Flüchtlinge wird bis zu einem Sieg Russlands weiter deutlich steigen und die große Mehrzahl der Flüchtlinge wird sehr lange brauchen, bis sie zurückkehren – oder für immer hierbleiben.

Die aktuelle Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft hat eine absehbare Grenze. Das ist okay. Wichtiger ist die Akzeptanz einer gemeinsamen Zukunft mit diesen Flüchtlingen.

Keine Heimat in der Rumpfukraine

Für ein dauerhaftes Bleiben in der Bundesrepublik sind schon jetzt nachvollziehbare Gründe absehbar: Die russische Annexion von großen Teilen der heutigen Ukraine, z.B. mit einem „freiwilligen“ Auszug vieler Ukrainer aus den dann annektierten Gebieten nach einem Abschluss der Kriegshandlungen.

Eine nicht auszuschließende bewaffnete Irredenta, also eine Bewegung zur Rückgewinnung der verlorenen Gebiete. Der sicher viele Jahre dauernde dauernde Wiederaufbau der zerstörten Städte und der Infrastruktur.

Eine teilweise oder völlige Demilitarisierung und Neutralisierung ohne erstzunehmende Sicherheitsgarantien des Westens gegenüber einem weiter aggressiven Russland für eine zukünftige Rumpfukraine und die Wahrscheinlichkeit russischer Angriffe auf weitere Nachbarstaaten.

Alle diese Gründe werden sich für viele Geflüchtete zu einer Entscheidung gegen eine baldige Rückkehr summieren. Es ist daher wahrscheinlicher, dass nach Beendigung der Kampfhandlungen viele Männer zu ihren geflüchteten Familien nachziehen werden.

Sehr gute Chancen

Die Chancen der ukrainischen Familien für ein Zukunft versprechendes Leben in der Bundesrepublik sind gut. Die ukrainischen Flüchtlinge wandern eben nicht, wie manche es nennen würden, in die Sozialsysteme ein. Sie tragen dazu bei, den demographisch bedingten Fachkräftemangel in der Bundesrepublik abzufedern.

Ihr Bildungs- und Ausbildungsstand ist hoch und mit bundesdeutschen Bildungsstandards kompatibel. Ihre Arbeitsbereitschaft und die Chancen hier gesellschaftlichen Raum für Selbsthilfe zu finden, können sich zu einer guten Perspektive auf dem Weg in ein neues Leben im Westen summieren.

Die bereits vorhandenen Hilfen der Bundesagentur für Arbeit bei der Arbeitsmarktintegration für die Arbeitgeber und für die Flüchtlinge bei Sprachkursen, Eingliederungslehrgängen und anderen Unterstützungsleistungen werden die Ukraine-Flüchtlinge schnell annehmen.

Die Integration der großen Zahl ukrainischer Kinder, Jugendlicher, Studenten und auch Wissenschaftler auf für sie geeigneten Wegen in unser Bildungssystem hat schon begonnen – wenn auch begleitet von ideologisierten Streitereien über russisch/ukrainische Bildungskontinuität kontra verbindliche Integration ins pur-deutsche Bildungssystem oder die Anerkennung ukrainischer Lehrerexamen.

Neuanfang im Westen

Zur Kenntnis zu nehmen ist jedenfalls jetzt schon: Zehntausende Ukrainer werden die drei Jahre ihres Aufenthaltsrechtes in der Bundesrepublik für den Versuch eines Neuanfangs im Westen nutzen und dann dauerhaft hierbleiben.

Die aktuelle Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft hat eine absehbare Grenze. Das ist okay. Wichtiger ist die Akzeptanz einer gemeinsamen Zukunft mit diesen Flüchtlingen. Die Folgen und Belastungen sind der geringste Preis für die bundesdeutsche Verweigerung umfassender Hilfe für die um ihre Freiheit kämpfende Ukraine.

Schon jetzt muss mit Planungen begonnen werden, mit denen verhindert werden kann, dass die zukünftige ukrainische Community in eine Rolle gedrängt wird, mit der sich bloß die Verteilungskämpfe in den sozial prekären Lebenszusammenhängen der Bundesrepublik verschärfen und Ausländerfeindlichkeit um eine neue Facette des Tretens nach unten erweitert wird.

Druck auf die Wohnungsmärkte der Städte wächst

Wo die bis zu 200.000 ukrainischen Neubürger wohnen werden, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Zahl der von der Ampel-Regierung geplanten 400.000 Neubauwohnungen muss sicher um weitere 100.000 Einheiten erhöht werden, so jedenfalls sind die Einschätzungen aus der Wohnungswirtschaft.

Die Ukrainer genießen auf Grund ihres besonderen Aufenthaltsstatus volle Freizügigkeit in der Bundesrepublik. Sie werden sich in den Großstädten sammeln, in denen sich schon heute Ansätze einer ukrainischen Community herausgebildet haben und die Zukunftschancen für sie am größten sind. Hier, wo der Mangel an bezahlbarem Wohnraum am größten ist, werden die Ukrainer die Konkurrenz am Wohnungsmarkt noch weiter verschärfen.

Abhilfe kann zum Beispiel in Berlin eine Neubauinitiative a la Märkisches Viertel schaffen.

Es braucht jetzt kühnes Handeln

Für 25.000 neue Wohnungen in einem neuen Stadtteil irgendwo an den Stadtgrenzen von Berlin würden, inklusive öffentlicher Infrastruktur und zunächst ohne Schienen-Anbindung, zwischen 60 und 80 Hektar gebraucht.

Der Senat müsste jetzt also schnell das Grundstück kaufen, alle Planungshoheiten dafür an sich ziehen, alle ausbremsenden Beteiligungsverfahren aussetzen und sich für Planung und Errichtung des Stadtteils innerhalb von zwei Jahren eines privaten Immobilienentwicklers bedienen.

Ihm würde das Grundstück zu einem symbolischen Erbpachtzins von einem Euro zur Verfügung gestellt, verbunden mit der Auflage innerhalb von zwei Jahren alle Wohnungen so zu bauen, dass deren Kaltmieten fünf Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen. Die Wohnungen würden nach Fertigstellung den städtischen Wohnungsbau-Gesellschaften zur Bewirtschaftung übergeben.

Ein solch kühnes Projekt könnte einer zukünftigen ukrainischen Community in Berlin eine Perspektive bieten. Und entgegen mancher Befürchtungen gerade deshalb einen Ansporn zur Integration, weil sie den Ukrainern die Sicherheit einer kollektiven Identität bietet, mit der sie alle gemeinsam ihren Platz in der Gesellschaft der Bundesrepublik finden können.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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