Umgang mit sexueller Gewalt in Serbien: Lautstark gegen die Boulevardpresse
Die Zeitung „Informer“ will ein Interview mit einem Vergewaltiger nicht aus dem Netz entfernen. Dass führt zu massiven Protesten in Belgrad.
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Auch wenn der Protest diesmal etwas kleiner ausfällt: Bereits zum dritten Mal versammeln sich wütende, vor allem junge Frauen zur feministischen Kundgebung. Ausgelöst hatte die Protestwelle ein Interview mit einem verurteilten Serienvergewaltiger, der erst kurz zuvor nach 15 Jahren Haft auf freien Fuß gekommen ist. Das Boulevardblatt Informer veröffentlichte Ende September in seiner Onlineausgabe ein fast einstündiges Interview mit dem Mann, in dem er seine Gewaltphantasien ausbreiten durfte. Detailliert legte er dar, wie er sich bei seinen Taten gefühlt hatte und drohte sogar weitere Vergewaltigungen an. Auch die Print-Ausgabe des Informer druckte das Interview, mit seinem Gesicht auf dem Titelblatt.
„Wir fordern, dass das Interview endlich gelöscht wird und dass Medien in Serbien angemessen über Gewalt gegen Frauen berichten“, sagt eine Teilnehmerin der Kundgebung, die mit ihren Freundinnen von Anfang an dabei ist. Noch immer lässt sich das Interview auf dem Youtube-Kanal der Zeitung finden.
Auch der Verband serbischer Journalisten und der Presserat hatten die Veröffentlichung kritisiert. Laut der Koalition für Medienfreiheit verstößt das Interview gegen den Journalistenkodex und das Informationsgesetz. Einem verurteilten Vergewaltiger einen solchen medialen Raum zur Verfügung zu stellen sei nicht gerechtfertigt, hieß es in einer Stellungnahme gegenüber dem Portal srbin.info. Die Veröffentlichung retraumatisiere die Opfer des Mannes, aber auch alle Frauen, die in Serbien sexuelle Gewalt erfahren haben.
Informer-Chefredakteur Dragan Vučićević verteidigte das Interview mit dem „öffentlichen Interesse“. „Es ist unsere Aufgabe, zu veröffentlichen, was selbst der größte Dreckskerl zu sagen hat“, sagte er gegenüber srbin.info.
Regierung finanziert Medien
Zu den Protesten aufgerufen hatte das feministische Kollektiv Ženska solidarnost (Frauensolidarität). Ihm geht es nicht nur um das Interview, sondern auch um die „Würde und das Recht von Frauen auf ein Leben ohne Gewalt“. Seit Anfang des Jahres wurden in dem kleinen Balkanland 25 Frauen ermordet. Laut der Organisation Medica Mondiale haben in Serbien 62 Prozent der Frauen sexuelle Gewalt erfahren. Verlässliche Zahlen zu Vergewaltigungen gibt es nicht, da nur wenige Frauen eine solche Tat melden.
Die Proteste richten sich auch gegen die serbische Regierung. „Es kann nicht sein, dass unsere Regierung dieses Boulevardblatt mit einem Haufen Geld unterstützt“, sagt eine junge Frau mit Trillerpfeife am Rande der Kundgebung. Die Regierung des Präsidenten Aleksandar Vučić finanziert Medien zum Teil direkt oder indirekt – darunter auch Informer. Oftmals setzt sie regimefreundliche Unternehmer*innen an die Spitze von Medien und Verlagshäusern. Das ergaben Recherchen von Reporter ohne Grenzen und dem investigativen Netzwerk BIRN (Balkan Investigative Reporting Network) schon 2017. Als größter Geldgeber und Werbekunde übe der Staat dann erheblichen Einfluss auf die Berichterstattung aus.
Seitdem hat sich die Situation noch verschlimmert, auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen nimmt das Land mittlerweile Platz 79 von 180 ein – Tendenz sinkend. Vor den Wahlen im April 2022 konnte Vučić in den Fernsehshows und auf den Titelblättern der größten Zeitungen unbehindert seine One-Man-Show abziehen – während die Opposition entweder gar nicht vor kam oder vom Präsidenten diskreditiert wurde.
Auch der Informer folgt der Vučić-Linie: So titelte das Blatt zu Beginn des Ukrainekriegs mit der Zeile „Die Ukraine hat Russland angegriffen!“ Die serbische Regierung ist eng mit Wladimir Putins Russland verbündet und unterstützt die EU-Sanktionen gegen Moskau trotz EU-Kandidatenstatus nicht.
Im Trommelrhythmus ziehen die Frauen und Männer am Freitagabend weiter die Belgrader Einkaufsstraße entlang. „Wir werden nicht schweigen!“, skandieren sie. Sie wollen weiter auf die Straße gehen, bis ihre Stimmen gehört werden.
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