Umfrage über Pflegeheime: Vorsicht vor der 3,8-Liter-Windel
Eine neue Umfrage zeigt: Angehörige beurteilen Pflegeheime vor allem nach dem persönlichen Eindruck. Fast 90 Prozent wünschen sich ein unabhängiges Prüfsiegel.
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BERLIN taz 3,8 Liter - so viel fasst die Windel, die der Pflegekritiker Claus Fussek vor sich liegen hat. "Und das ist noch nicht die größte", sagt Fussek und schwenkt den voluminösen Hygieneartikel vor dem Publikum. Ein Heim, das so große Windeln benutzt, gerät in Verdacht, die PatientInnen lange in ihren Ausscheidungen liegen zu lassen. Die Windelgröße ist aber nur ein Indiz, auf das Angehörige achten sollen, die für Vater oder Mutter einen Pflegeplatz suchen.
97 Prozent der Angehörigen verlassen sich auf ihren eigenen Eindruck bei einem persönlichen Besuch in der Pflegeeinrichtung. 87 Prozent würden ein unabhängiges Prüfsiegel, eine Art "Pflege-TÜV", begrüßen. Dies ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der privaten Marseille-Kliniken, die am Donnerstag in Berlin im Beisein von Fussek vorgestellt wurde.
In der Erhebung unter 1.100 BürgerInnen mit einem Pflegefall im Verwandtenkreis sagten drei Viertel der Befragten, eine Hauptursache der schlechten Versorgung sei, dass zu wenig Pflegepersonal vorhanden sei. Fast alle Angehörigen erklärten, dass nicht nur medizinische Betreuung, sondern die "Betreuung des ganzen Menschen" wichtig sei bei der Auswahl einer Pflegeeinrichtung.
Geld allein entscheidet nicht über die Qualität der Betreuung. "Die gute Pflege kostet genauso viel wie die schlechte Pflege", sagte Fussek. Der Pflegebericht des medizinischen Dienstes der Krankenkassen im vergangenen Jahr hatte bereits festgestellt, dass der Preis für einen Heimplatz allein noch keine Aussage über die Qualität der Pflege zulasse.
Was also entscheidet über gute und schlechte Pflege? Darüber, ob eine Patientin auf ihr Klingeln hin zur Toilette geführt oder ihr wenigstens die Windel gewechselt wird? Ob ihr geduldig beim Essen geholfen und sie öfter mal vor die Tür an die frische Luft gerollt wird? Laut Pflegeschlüssel komme eine Vollzeitkraft auf drei Patienten, erklärte Axel Hölzer, Vorstandsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG. Jedoch müsse man hier Krankmeldungen, Weiterbildungszeiten und den Arbeitsaufwand für Pflegedokumentationen abziehen. Es könne daher durchaus auch einmal vorkommen, dass auf einer Station nur eine Pflegekraft in einer Schicht für zehn Patienten zur Verfügung stünde. Ob das Personal optimal eingesetzt werde, liege auch an der Führung des Heimes, so Hölzer.
Hölzer forderte, die Politik müsse ehrlicher werden bei der Frage, wie eine sachgerechte Versorgung zu finanzieren sei. Die Bundesregierung müsse etwa bei der Festlegung der Beiträge zur Pflegeversicherung dann möglicherweise in Zukunft sagen: "Wir werden auf sechs Prozent gehen." Die Beiträge steigen ab Juli auf nur 1,95 Prozent vom Bruttogehalt. Fussek hingegen meinte, es sei "genug Geld im System". Fussek erklärte, ein gutes Heim müsse "offen sein". "Da müssen Leute reingehen, Ehrenamtliche kommen, da muss der Chor rein, der Koch mit Patienten reden."
Laut Umfrage glaubten fast die Hälfte der Befragten, dass für einen Heimplatz ein Eigenbeitrag von mehr als 1.500 Euro im Monat erforderlich sei. Dabei liegt der Eigenanteil im Schnitt in der höchsten Pflegestufe derzeit nur bei rund 1.300 Euro.
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