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Um nichts besser

■ betr.: Grenzen der Anerkennung“, taz vom 27.8.93

Wenn sich Feministinnen — mit gutem Recht — darüber empören und — wie vor längerer Zeit in der taz geschrieben — die Koedukation ablehnen, weil Mädchen den vorlauteren Jungen gegenüber sozial benachteiligt wären und weil Mädchen in koedukativen Schulen schlechtere Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern hätten, dann ist das wissenschaftlich und wird anerkannt, vor allem sicherlich in Kreisen der „taz“-LeserInnen. [...]

Wenn aber Mädchen oder Frauen — auch noch türkische islamische, sprich: Fremde — im Namen ihrer Religion das gleiche Recht für sich fordern, dann führt das zu Segregation, meint Herr Semler, und er spricht weiter von „Artenschutz“ — einen Begriff, den wir wohl eher mit ökologischen Aktionen, nicht aber religiösen Grundrechten von Menschen verbinden, leider wirkt der Begriff „Artenschutz“ in diesem Kommentar faschistisch und ausgrenzend, es soll da nämlich einer bestimmten „Art“ — eben den Türkinnen — kein Schutz zukommen, sie sollen statt dessen die Möglichkeit der Wahl haben, aber gerade diese Möglichkeit der Wahl beinhaltet es auch, daß sich türkische Frauen für den Islam entscheiden, daß sie sich in der Fremde noch mehr an ihre Traditionen klammern können, um nicht ihre Identität zu verlieren. [...]

Wir Deutschen haben in den letzten Jahren auf vielfältige Weise unseren ausländischen und gerade unseren türkischen MitbürgerInnen Leid zugefügt, man kann Türken verbrennen, man kann sie ausgrenzen, indem ihnen bei der Arbeits- und Wohnungssuche rassistische Barrikaden in den Weg gelegt werden, aber wir können auch ganz liberal sein und nur die kulturelle und religiöse Identität unserer ausländischen Mitbürger im Namen der Freiheit zerstören, wenn wir es türkischen Mädchen verweigern, Kopftücher zu tragen und sie zu koedukativem Sportunterricht zwingen, und wenn wir das tun, dann sind wir um nichts besser als jene, die Flüchtlingsheime anzünden! Kerstin Witt, Berlin

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