Ukrainistik an der Uni Greifswald: Zum Jubiläum ein Begräbnis
Die Uni beschließt, die deutschlandweit einzige Professur für Ukrainistik nicht mehr auszuschreiben. Die letzte Hoffnung: das Veto der Studierenden.
Als die Universität Greifswald Mitte der 1990er Jahre die Ukrainistik und Baltistik aus der Taufe hob, glaubte man an das große Entwicklungspotenzial dieser beiden Fächer. Sie sollten helfen, die Greifswalder Universität über die Region hinaus bekannt zu machen. Diese Rechnung ging auf: Die Ukrainistik trug deutlich zur Profilierung der Greifswalder Uni in der kulturwissenschaftlichen Bildungslandschaft bei, war ein Alleinstellungsmerkmal im Profil der Universität.
Diese Erfolgsgeschichte beruhte auf einem Mix von akademischen und allgemein informierenden Inhalten, mit dem die Vertreter der Ukrainistik seit 1995 den Defiziten in der Kenntnis von ukrainischer Sprache und Kultur begegneten und ein wachsendes Interesse unter den Studierenden fanden.
Ein Teil dieses Mixes war die ukrainistische Sommerschule „Greifswalder Ukrainicum“, die Studierende und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum, Europa sowie den USA zusammenbrachte und Greifswald zu einer international renommierten Adresse der Ukraineforschung machte.
Die Greifswalder Ukrainistik war zudem Ansprechpartner für außerakademische Kreise: Verlage auf der Suche nach AutorInnen, für Übersetzungen oder für politische und gesellschaftliche Initiativen. Besonders deutlich wurde dies seit der Orange Revolution 2004. Die aktuelle Krise mit dem Maidan-Protest im November 2013, der Annexion der Krim im März 2014 und dem andauernden Krieg in der Ostukraine verdeutlicht, wie notwendig eine fundierte kulturwissenschaftliche Ukrainekompetenz ist.
Sparzwänge
Doch nach zwanzig Jahren und zu einem Zeitpunkt, an dem die Ukraine im Fokus der Europa- und Weltpolitik steht, beschließen die Wissenschaftler der Philosophischen Fakultät in Greifswald fast einstimmig, die Ukrainistik-Professur für zehn Jahre auf Eis zu legen. Ob man sie danach auftauen und wiederbeleben wird, ist fraglich. Die in zwanzig Jahren entwickelte wissenschaftliche Infrastruktur der Ukrainistik wird ohne Professur verkümmern und unbrauchbar werden – womöglich ein Grund mehr, sie dann ganz abzuschaffen.
Woher kommt diese Haltung gegenüber der Ukrainistik und Slawistik? Vom Dekanat war in verschiedenen Statements zu hören, dass das Fach Sparzwängen zu Opfer falle. Schon vor zehn Jahren habe die Uni mit der Landesregierung Sparauflagen vereinbart, die bisher nicht komplett umgesetzt seien.
„Um zukünftig Defizite im Haushalt der Fakultät zu vermeiden, müssen neun Stellenäquivalente abgebaut oder durch Mittelumschichtungen finanziert werden“, heißt es aus der Universitätsleitung.
Aber warum soll die Personalkürzung vor allem die Slawistik treffen und wird nicht gleichmäßig auf verschiedene Fachbereiche verteilt? Der Leiter des Instituts für Slawistik, der Linguistikprofessor Bernhard Brehmer, sieht die Gründe in einem Zusammenspiel der Sparzwänge mit persönlichen Interessen und Konflikten innerhalb der Universität. Dabei wurde bei der Ukrainistik schon einmal gekürzt, als man sie 2009 mit einer anderen Professur zusammenlegte.
Abstimmung im Herbst
Nach dem negativen Beschluss der Philosophischen Fakultät machten die Studierenden von ihrem Vetorecht Gebrauch, das laut Universitätssatzung eine erneute Abstimmung im Herbst erforderlich macht.
Bis dahin bleibt Zeit, um nach Lösungen zu suchen. Die nun aufgekommene Idee, Bundesmittel zu beantragen, hätte eigentlich vor dem Schließungsbeschluss realisiert werden sollen. Nun wirkt es wie Alibipolitik.
Letztlich ist es aber ein konstruktiver Vorschlag, der bei Zusammenarbeit der Universitätsleitung mit Slawistik und Studierenden in ein Konzept zur Sicherung einer kulturwissenschaftlichen Ukraineforschung münden kann, die langfristig der deutschen Ukrainekompetenz zugute kommen wird. Nicht zuletzt geht es um die Ausbildung von Studierenden, die der Ukrainistik wegen nach Greifswald kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett