Ukrainischer Präsident redet von Neuwahlen: Sprachenstreit löst heftige Proteste aus
Das ukrainische Parlament beschließt ein Gesetz, das den Status der Russischen Sprache stärkt. Der Parlamentspräsident bietet seinen Rücktritt an.
KIEW rtr/dpa/afp | Nach heftigen Protesten gegen ein Amtssprachengesetz im ukrainischen Parlament und in der Öffentlichkeit hat Staatschef Wiktor Janukowitsch die Möglichkeit von Neuwahlen ins Spiel gebracht. Janukowitschs Büro erklärte am Mittwoch, der Präsident schließe vorgezogene Wahlen nicht aus, sollte sich die Arbeit des Parlaments nicht stabilisieren.
Zuvor hatte die Abgeordnetenkammer mit den Stimmen der Regierungspartei einem Gesetz zugestimmt, das den Status der russischen Sprache erheblich aufwertet. Der Gesetzentwurf war den Abgeordneten erst Minuten vor der Abstimmung überraschend vorgelegt worden.
Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke gegen Hunderte Demonstranten in Kiew ein. An den Protesten beteiligte sich auch Boxweltmeister und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko. „Wir sind Millionen und können nicht mehr so tun, als ob nichts passiert wäre“, sagte Klitschko, der eine Partei gegründet hat und bei den Protesten leicht verletzt wurde. Klitschko hatte sich mit Parlamentsabgeordneten zwischen die rund 1.300 Milizionäre und etwa 600 Demonstranten gestellt.
Er erlitt eine Schnittwunde an der Hand und geriet in das Tränengas. Der Chefredakteur der bekannten Wochenzeitung Serkalo Nedeli, Sergej Rachmanin, habe bei der Rangelei einen Herzanfall bekommen, berichteten Medien in Kiew. Die Regierungsgegner fordern den Präsidenten auf, gegen das Gesetz ein Veto einzulegen. Kritiker sagen, das Gesetz unterminiere die ukrainische Sprache und Souveränität.
Minderheitssprache von Regionalvertretern
Das umstrittene Gesetz legt fest, dass Ukrainisch die offizielle Amtssprache ist, erlaubt aber zugleich, dass Minderheitssprachen von Regierungsbeamten und Regionalvertretern dort verwendet werden können, wo die jeweilige Sprache von der örtlichen Bevölkerung gesprochen wird. Unter Protest der Opposition votierten 248 regierungstreue Abgeordnete der Kammer mit 450 Sitzen für das Gesetz. Es war bereits Anfang Juni in erster Lesung verabschiedet worden.
Damit das Gesetz in Kraft treten kann, muss es von Parlamentspräsident Wladimir Litwin und Präsident Janukowitsch unterzeichnet werden. Litwin bot am Mittwoch aus Protest seinen Rücktritt an. Wie Radio Free Europe berichtete, soll auch einer seiner Stellvertreter sich diesem Schritt angeschlossen haben.
Vermutlich will Litwin mit seinem Gesuch seine Chancen auf ein Direktmandat in der antirussischen Westukraine bei den für Oktober geplanten Parlamentswahlen stärken. Seine Fraktion, die mit der Regierungspartei koaliert, hatte am Vortag für die Gesetzesvorlage gestimmt. Die Regierung in Moskau hatte wiederholt eine Besserstellung der russischen Sprache gefordert.
Historisch gesehen ist Russisch die Sprache der Ostukraine und der Krim-Halbinsel. Der prorussische Osten des Landes gilt als Hochburg Janukowitschs. Der Westen des Landes, wo ukrainisch gesprochen wird, orientiert sich eher in Richtung Europa. Im Präsidentschaftswahlkampf 2009 hatte Janukowitsch seinen Wählern versprochen, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen. Die Partei des Präsidenten findet derzeit nur bei 30 Prozent der Wählerschaft Unterstützung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers