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Ufuk Sahin-betr.: Offener Brief an die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats und an die Senatorin für Gesundheit und Soziales

Offene Briefe an die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats Frau Barabara John und an die Senatorin für Gesundheit und Soziales Frau Ingrid Stahmer

Sehr geehrte Frau John!

Von der Ermordung des 25jährigen Ufuk Sahin sind wir tief erschüttert.

In dieser Stadt, und leider nicht nur in dieser, hat sich ein Klima ausgebreitet, in dem offen Gewalt gegen AusländerInnen bis hin zum Mord ausgeübt werden darf. Immer wieder hören wir dann „betroffene“ Kommentare von PolitikerInnen, vor allem von „christlichen“, die dieses Klima maßgeblich herbeigeführt haben. Wir denken hierbei an Ihre Parteifreunde Lummer und Kewenig, die Ausländerfeindlichkeit erst hoffähig machten. Unter deren Regierung wurden die bösen Worte „Asylantenschwemme“, „Asylantenflut“ usw. erst geprägt. Ihr Parteifreund Lummer mußte unter anderem auch deshalb zurücktreten, weil er eine rechtsextreme Partei finanzierte.

So mutet es uns sehr merkwürdig an, daß auch Sie in Ihrer Broschüre „Fragen und Antworten zur Asyldiskussion“ diese Linie fortsetzen. Unter Punkt 15 zum Beispiel wird doch allen Ernstes den BürgerInnen suggeriert, daß man Flüchtlinge zukünftig schon an der Grenze zurückweisen will. Das widerspricht elementar dem Art.16 GG.

Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Welch eine Errungenschaft, wenn Flüchtlinge aus Militärdiktaturen wie zum Beispiel Bangladesch schon an der Einreise gehindert werden.

Vor diesem Hintergrund erschüttert uns der Mord an Ufuk Sahin zwar, aber er ist als Resultat einer inhumanen Ausländerpolitik zu werten.

Sehr befremdlich finden wir in diesem Zusammenhang auch Ihren Spendenaufruf, der gut gemeint sein mag, aber unsensibel und völlig deplaziert ist. Hier hätte der Staat ein Beispiel geben können und selbstverständlich der materiellen Not der Familie abhelfen müssen. Soll dabei durch ein eventuelles hohes Spendenaufkommen mal wieder bewiesen werden, daß die Deutschen doch nicht ausländerfeindlich sind? Dieser Versuch ist doch schon einmal fehlgeschlagen.

Warnungen von Ausländerorganisationen wurden in der Regel als Panikmache abgewertet oder bestenfalls milde belächelt. Wir müssen leider feststellen, daß sich solange nichts ändern wird, solange sich Ausländerpolitik auf dem Niveau von Folklore orientiert.

Als zukünftigen Art.1 GG schlagen wir vor: „Die Würde des Menschen ist unantastbar: Ausnahmen regelt das Ausländergesetz.“

Renate Wilson, Bärbel Künne

Kontakt- und Beratungs

stelle für außereuropäisch

Flüchtlinge e.V., Berlin 6

Sehr geehrte Frau Stahmer!

Wir haben Frau John wiederholt auf Ausländerfeindlichkeiten und Rassismus in Berlin hingewiesen. Zuletzt vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Frau John hat dies immer wieder energisch bestritten und auf Umfragen hingewiesen, die von ihrem Haus durchgeführt wurden. Diese Umfragen halten wir für wenig aussagefähig. Wir sind der Meinung, daß es nicht ausländerfeindlich ist, wenn man keine Pizza essen möchte.

Am 13.Mai wurden in Charlottenburg und Steglitz bengalische Rosenverkäufer überfallen, geschlagen und beraubt. Die Täter waren deutsche Jugendliche, die flüchten konnten. In Kreuzberg wurde ein anderer Bengale schwer mißhandelt. Er mußte zwei Wochen lang täglich ärztlich behandelt werden. Er war in Gefahr, ein Auge zu verlieren. Diesen Fall konnten wir nicht publik machen, da sich der Betreffende in dieser Zeit illegal in Berlin aufhielt.

Diese Beispiele sind wahllos herausgegriffen und keineswegs vollständig. In unserer Beratungsstelle hören wir täglich von Übergriffen auf AusländerInnen. Sie sind alltäglich und ein fester Bestandteil dieser Stadt. Sie wird praktiziert von Behörden wie der ZSA, der Ausländerbehörde, der Polizei, durch die gesetzgebenden PolitikerInnen, die Parteien (Eiertanz um das kommunale Wahlrecht, Asylverfahrensgesetz, rechtswidrige Kürzung der Sozialhilfe usw.) und der BVG durch schikanöse Fahrscheinkontrollen.

Ist es denn wirklich so verwunderlich, wenn sich der/die Bürger/in daran ein Beispiel nimmt? Was die Großen tun, muß doch auch den Kleinen erlaubt sein.

Es ist an der Zeit, endlich mit den Sonntagsreden aufzuhören. Wir haben noch Hoffnung, daß der neue Senat endlich ein Zeichen setzt. Dazu gehört die sofortige Umsetzung des Koalitionspapiers.

Wir warten schon zu lange auf die versprochene Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle. Und wir hoffen zutiefst, daß Sie diese Stelle nicht mit Frau John besetzen. Dies könnten Sie den AusländerInnen und Flüchtlingen und deren Organisationen und Initiativen ersparen.

Renate Wilson

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