Überzogene Mieten für Werkverträgler: Arbeiter in Bruchbuden
Die Werkarbeiter der Fleischindustrie werden oft von denselben Subunternehmern untergebracht, die sie angeheuert haben. Das rentiert sich.
QUAKENBRÜCK taz | Das Treppenhaus der ehemaligen Kaserne in Quakenbrück hat bessere Zeiten gesehen: Die Decken sind schimmelig, die Zwischentüren hat jemand mit OSB-Platten vernagelt und die Lampen haben keine Schirme. Daniela Reim zeigt auf Stromkabel, die aus einem Verteilerkasten hängen: „Einige Bewohner zapfen hier die anderen an, um Strom zu sparen.“
Daniela Reim arbeitet bei der Oldenburger „Beratungsstelle für mobile Beschäftigte“, deren Aufgabe es ist, die Situation von Werkarbeitern zu verbessern. Ihr Haus steht in Quakenbrück, wo viele Werkarbeiter leben, die im benachbarten Essen (Oldenburg) in der Fleischindustrie arbeiten.
Das Prinzip funktioniert so: Die großen Schlachthäuser kaufen bei Subunternehmen bestimmte Leistungen ein, zum Beispiel das Zerlegen einer bestimmten Anzahl von Schweinen. Die Subunternehmer erledigen den Job dann mit Werkarbeitern, die sie in Osteuropa anheuern.
Bis zu 64.000 Schweine werden allein bei dem dänischen Schlachter Danish Crown in Essen jede Woche von 1.300 Mitarbeitern zerlegt. 900 davon sind laut Konzernangaben Werkarbeiter. Und die müssen irgendwo wohnen. In Essen allein waren es vor zwei Jahren 60 Wohnungen, die mit 513 Personen belegt waren – ein Riesengeschäft.
„In Quakenbrück ist es im Moment besonders schlimm“, sagt Detlef Kolde. Er sitzt für die SPD im Cloppenburger Kreistag. Und beschäftigt sich seit Jahren mit osteuropäischen Werkarbeitern. Vergangenes Jahr waren die schlimmen Zustände zum Thema in den Medien geworden.
Bis zu 90 Prozent der Arbeit in Schlachthöfen ist laut Gewerkschaften durch Werkverträge organisiert.
8.000 bis 10.000 Menschen arbeiten insgesamt in den Schlachtbetrieben.
In Niedersachsen hat die Branche laut Agrarministerium einen Umsatz von vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr.
In der Vergangenheit sollen Dumpinglöhne zwischen drei bis sieben Euro gezahlt worden sein.
Seit August gilt ein branchenweiter Mindestlohn von 7,75 Euro.
Sie berichteten über schimmelige Zimmer und Menschen, die im Wald campieren. Zuvor waren bei einem Brand in Papenburg zwei Männer aus Rumänien gestorben. Sie waren bei einem Subunternehmer auf der Meyer-Werft beschäftigt gewesen.
Seit Anfang dieses Jahres ist ein Erlass der niedersächsischen Landesregierung in Kraft. Er regelt, wie Werkarbeiter wohnen sollen. Demnach braucht ein Mensch mindestens sechs Quadratmeter zum Leben. In einem Mehrbettzimmer dürfen höchstens acht Menschen schlafen, für die es wiederum mindestens eine Toilette, zwei Waschbecken und eine Dusche geben muss.
Doch ob der Erlass was bringt, ist die Frage. Detlef Kolde steht vor der Ex-Kaserne in Quakenbrück. Die Fensterrahmen sind marode. Im ersten Stock beklagt eine Mieterin, dass sie sie gar nicht mehr öffnen kann, weil diverse Kabel von Sat-Schüsseln davor hängen. „Es wird sich nichts ändern“, sagt Kolde. Es gebe zu wenig Kontrollen.
Im Haus zeigt Daniela Reim vor einer Wohnung auf ein halbes Dutzend Schuhe. „Hier wohnt eine Großfamilie“, sagt sie. „Die stören wir heute aber lieber nicht.“ Nach dem letzten Reporterbesuch habe die Familie Ärger bekommen.
Deswegen klopft Daniela Reim heute an einer anderen Tür. In der Wohnung, zeigt sie schimmelige Ecken im Bad und kaputte Fenster im Schlafzimmer. 340 Euro zahlen sie für die sanierungsbedürftige Wohnung, die etwa 45 Quadratmeter groß ist. Selbst wenn man die Nebenkosten abzieht, ist das immer noch ein Quadratmeterpreis zwischen sechs und sieben Euro. Die Quakenbrücker Durchschnittsmiete für Wohnungen in dieser Größe liegt bei 5,50 Euro pro Quadratmeter.
Dabei haben die Familien es hier noch vergleichsweise gut getroffen. Die meisten Werkarbeiter leben in Massenunterkünften, die auch nicht viel billiger sind. Sie lassen sich an den Dutzenden Namen erkennen, die mit Filzstift auf die Briefkästen geschrieben sind oder als Computerausdruck mit Tesafilm darüber geklebt werden, wenn kein Platz mehr ist.
So ist das auch ein paar Gehminuten von dem Quakenbrücker Haus entfernt. Vor dem Eingang stehen zwei junge Männer. Sie haben eingekauft und stützen sich auf den mitgebrachten Einkaufswagen. Sie arbeiten für einen Subunternehmer, der einen Vertrag mit Danish Crown hat. Ihre Unterkunft ist spärlich: Ein paar Metallbetten, darauf Schaumstoffmatratzen, ein Tisch, gelebt wird aus dem Koffer. Sie schlafen zu viert in dem Raum. Daniela Reim sieht hier einen Verstoß gegen den Unterbringungs-Erlass. Offenbar sei nicht genug Platz im Zimmer.
Später, es ist dunkel, und der VW-Bus von Daniela Reim rollt noch einen letzten Meter auf knirschendem Schotter. Dann kommt er irgendwo im Kreis Cloppenburg zum Stehen. Die Scheinwerfer machen ein langes Gebäude sichtbar. Früher war das mal ein Stall, jetzt wohnen auch hier Osteuropäer, die in umliegenden Schlachthöfen arbeiten.
Daniela Reim schaut kurz durch eins der quadratischen Fenster. Drinnen schlurfen müde Männer in Jogginganzügen und Badeschlappen durch eine große und karge Halle. Die Decke ist mit dünnen Eisensäulen stabilisiert, die jemand rot gestrichen hat. Große Deckenstrahler sorgen für ein grelles Flair.
Wir gehen hinein. In der Halle stehen ein paar Möbel: Sofas, Tische und Stühle. Einer der Männer sitzt in der Ecke, er hat die Kapuze seines Pullovers bis tief ins Gesicht gezogen und glotzt in einen Laptop. Aus den blechernen Boxen krächzt eine Kinderstimme: Skypen mit der Familie. An einer Wand hängen schiefe Bilder, Daniela Reim deutet darauf: „Die haben sie vor der letzten Kontrolle aufgehängt.“
Seit es in Niedersachsen Regeln für die Unterkünfte gibt, haben sie im Cloppenburger Stall ein Bett weniger im Zimmer stehen. In jedem Zimmer schlafen aber immer noch zwei bis drei Arbeiter. Insgesamt nächtigen hier 12 Männer, für Tarife zwischen 240 und 270 Euro im Monat. Das Geld wird ihnen direkt vom Lohn abgezogen. Für den Vermieter macht das rund 3.000 Euro jeden Monat – für einen umgebauten Stall.
Die Buden sind für die Subunternehmer Teil der Geschäftsstrategie. Oft sind die Häuser direkt von ihnen angemietet oder gehören ihnen sogar. Das Geld, dass sie den Arbeitern mit der einen Hand geben, nehmen sie ihnen mit der anderen wieder weg. So wird Lohndumping durch die Hintertür organisiert.
Josza heißt einer der Arbeiter, er kramt ein paar Papiere aus seinen privaten Sachen: Verträge und Lohnabrechnungen. Er zeigt sie Daniela Reim. Die beiden sprechen rumänisch miteinander. Josza kann kein deutsch, wie die meisten Werkarbeiter. Sein Arbeitsvertrag hat zwei Spalten: links stehen die Vereinbarungen auf Rumänisch, rechts die deutsche Übersetzung.
„Das ist schon ziemlich gut“, meint Daniela Reim. Oft sind die Verträge in einer Sprache formuliert, die die Arbeiter nicht verstehen. Das muss nicht immer Deutsch sein. Mancher Rumäne hat einen in Polnisch verfassten Vertrag, mancher Pole einen Vertrag auf Rumänisch, je nachdem wo der Subunternehmer herkommt, bei dem sie unterschreiben.
Josza hat ein Problem: Es gibt seit einiger Zeit nicht genug Arbeit im Schlachthof. 182 Stunden im Monat sind in seinem Vertrag vereinbart. 125 hat er im letzten Monat machen können, knappe tausend Euro sind das, minus 240 Euro für sein Bett im Mehrbettzimmer. Da bleibt zu wenig Geld übrig.
Arbeiter wie Josza wollen nicht ewig in Deutschland bleiben. Sie wollen ein paar Jahre ein bisschen Geld machen. Meistens geht ein Teil an die Familie, ein anderer Teil wird zurückgelegt, um sich dann zuhause etwas zu leisten, ein Haus oder „dass es meinen Kindern mal besser geht“, sagt einer. Das wird schwer, wenn am Ende nur 800 Euro ausgezahlt werden.
Josza glaubt außerdem, dass sein Subunternehmer zu wenig Stunden abgerechnet hat. Beweisen kann er das nicht, weil ihm der Einblick in die Aufzeichnungen verwehrt wird.
Der Mann mit dem Kapuzenpulli wendet sich kurz von seinem Computer ab. Ihm sei es auch so gegangen, übersetzt Daniela Reim. „Er hatte vermutet, dass in seiner Lohnabrechnung dreißig Stunden fehlten.“ Er hatte Glück und bekam die Stundenaufzeichnungen: Tatsächlich fehlten 27 Stunden.
Werkarbeiter werden immer befristet beschäftigt. Meistens sechs Monate. „Dann fahren sie drei Wochen nach Hause, um ihre Familien zu sehen und kommen schließlich für weitere sechs Monate wieder“, sagt Daniela Reim. Weil die Verträge immer befristet sind, wehrt sich fast niemand gegen Zumutungen am Arbeitsplatz, gegen Vertragsverstöße und miese Unterkünfte. Wer das tut oder auch nur länger krank ist, bekommt eben keinen Nachfolgevertrag.
„Für viele ist das sogar okay“, sagt Daniela Reim. Schließlich verdienen sie hier das vier- bis sechsfache von dem, was sie in ihren Heimatländern bekommen würden.
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