Überwachungs-Studie unter Verschluss: Bundestag entscheidet blind
Ein Gutachten über polizeiliche Zugriffe auf Telekomdaten unter Verschluss. Der Bundestag entscheidet jetzt über Vorratsdatenspeicherung.
So absurd kann Gesetzgebung sein: Vor drei Jahren forderte der Bundestag von der Regierung ein Gutachten zur polizeilichen Nutzung von Telekom-Verbindungsdaten. Jetzt ist das Gutachten fertig, doch die Abgeordneten bekommen es nicht - und wollen am Freitag dennoch eine sechsmonatige Zwangsspeicherung der Verbindungsdaten einführen, die so genannte Vorratsdatenspeicherung.
Mehr als 400 Seiten umfasst der Forschungsbericht des Freiburger Max-Planck-Instituts für Strafrecht. Er erläutert, wie oft die Polizei auf die Telekom-Verkehrsdaten ("wer telefoniert mit wem wie lange") zugreift, was dabei herauskommt und ob die Ermittler rechtliche Sicherungen einhalten. Der Bericht wurde im Auftrag von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erstellt und im Juli abgeliefert. Auf Wunsch des Ministeriums wurde im September nachhgebessert, seitdem wird der Bericht geprüft. Auch vor der Abstimmung am Freitag wird er nicht freigegeben.
Das Ministerium betont, es wolle nichts verheimlichen. Es werde nur geprüft, ob das Gutachten "als ordnungsgemäße vertragliche Leistungserbringung abnahmefähig ist, so dass verantwortet werden kann, den aus Steuermitteln zu zahlenden Werklohn zur Auszahlung anzuweisen", heißt es beamtenpoetisch in einer ministeriellen Antwort. So erhält der Gesetzgeber die Informationsbasis erst nach der Abstimmung.
Dabei hatte der Bundestag im Oktober 2004 die Regierung einstimmig beauftragt, einen Erfahrungsbericht vorzulegen. Zugleich wurde der Polizei zwar weiter erlaubt, die Verbindungsdaten für Fahndungszwecke zu nutzen. Doch die Befugnis wurde auf Ende 2007 befristet. Ob die Befristung aufgehoben wird, sollte auf Grundlage des Erfahrungsberichts des Max-Planck-Instituts entschieden werden - der jetzt nicht vorliegt. Nun wird nicht nur die Befugnis entfristet, sondern sogar noch eine Zwangsspeicherung der Verbindungsdaten eingeführt, die auch Flatrate-Kunden erfasst.
Am Freitag haben die Abgeordneten des Rechtsausschusses immerhin die letzten fünf Seiten des Berichts erhalten. Dort sind einige Empfehlungen enthalten, zum Beispiel dass Provider künftig Geld für ihre Überwachungskosten bekommen sollten. Angaben über die bisherige Praxis fehlen jedoch
Das bayerische Landeskriminalamt erklärte jüngst, dass allein in Bayern pro Jahr mehr als 40.000 Mal Verbindungsdaten erhoben werden. Das Bundesjustizministerium kann keine bundesweiten Zahlen nennen, es gebe keine Statistik, heißt es. Tröstend wird aber mitgeteilt, dass die Max-Planck-Untersuchung "Erkenntnisse bringen" wird. Nur wann?
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