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Übersterblichkeit durch CoronaZehntausende Tote zu viel

Die zweite Coronawelle ist nun auch bei den Sterbezahlen unübersehbar. Europaweit starben in vier Wochen 40.000 mehr als zu dieser Jahreszeit üblich.

Aktuell sei die Übersterblichkeit zu Beispiel in Frankreich sehr hoch, heißt es bei Euromomo Foto: Benoit Tessier/reuters

Berlin taz | Infolge der zweiten Coronawelle sind in den letzten vier Wochen europaweit fast 40.000 Menschen mehr gestorben als zu dieser Jahreszeit üblich. Das geht aus neuesten Zahlen zur sogenannten Übersterblichkeit hervor, die das European Mortality Monitoring (Euromomo) am Mittwoch veröffentlicht hat. Demnach wurden allein in der 45. Kalenderwoche, das war die erste Novemberwoche, über 64.000 Verstorbene registriert, das sind rund 22 Prozent mehr als in dieser Woche üblich.

Euromomo trägt die Sterbefallzahlen aus 26 europäischen Ländern und Regionen zusammen und vergleicht sie mit den Zahlen aus den Vorjahren. So lässt sich erkennen, ob zu bestimmten Zeiten eine Übersterblichkeit vorliegt, ob also überdurchschnittliche viele Menschen verstorben sind.

Der genaue Grund für diese statistischen Ausschläge geht aus den Zahlen nicht hervor, er kann nur durch Beobachtung aktueller Umstände vermutet werden. So führen zum Beispiel Hitzewellen häufig zu einer erkennbaren Übersterblichkeit. Anhand solcher Zahlen wurde auch errechnet, dass der letzten große Grippewelle in den Jahren 2018/2019 in Deutschland mutmaßlich über 20.000 Menschen zum Opfer fielen. Durch Laborbefunde bestätigt waren davon damals nur rund 1.600 Fälle.

Auch bei der ersten Coronawelle im Frühjahr hatte Euromomo eine zum Teil extreme Übersterblichkeit registriert, die vermuten ließ, dass deutlich mehr Menschen der Pandemie erlegen sind als offiziell bekannt. So waren in den ersten beiden April-Wochen über 60 Prozent mehr Menschen gestorben, als für die Jahreszeit zu erwarten gewesen wäre. Bis Ende Mai hatte sich laut Euromomo die Zahl der „zu vielen Toten“ auf 190.000 summiert.

Seither hatte es aber keine Ausschläge mehr gegeben. Erst seit Ende Oktober spricht das Projekt in seinen wöchentlichen Bulletins wieder von einer wachsenden Übersterblichkeit, die mit der zweiten Welle von Covid-19-Erkrankungen einhergehe. Die Kurve steigt sichtbar wieder an. Mittlerweile liegt die Gesamtzahl bei fast 260.000 Toten „zu viel“.

Wie schon im Frühjahr sind aber wieder nur einige Länder betroffen. Aktuell sei die Übersterblichkeit in Spanien, Frankreich und in der Schweiz sehr hoch, in Italien sogar extrem hoch, heißt es bei Euromomo. Betroffen sind erneut vor allem ältere Menschen über 65. Aber auch in den Gruppen der 15- bis 44-Jährigen und der 45- bis 64-Jährigen sei eine leichte Übersterblichkeit erkennbar.

Aktuelle Zahlen aus Deutschland bekommt Euromomo nur aus den Bundesländern Hessen und Berlin. Die Sterbefallzahlen für das ganze Land werden seit der Coronapandemie vom Bundesamt für Statistik einigermaßen aktuell veröffentlich, sie hinken denen von Euromomo aber stets einige Wochen hinterher.

Die bisher letzte Veröffentlichung nennt nur Zahlen bis Ende Oktober. Da registrierte das Statistische Bundesamt gerade eine leichte Übersterblichekit von 5 Prozent. Allerdings war die zweite Coronawelle in Deutschland gerade erst angelaufen. Damals wurden im Wochenschnitt täglich weniger als 30 Menschen registriert, die an oder mit Corona gestroben waren.

Aktuell Ende November ist diese Zahl um das Achtfache auf fast 240 gestiegen. Am Mittwoch meldete das Robert-Koch-Institut sogar 410 Tote binnen 24 Stunden – ein neuer Höchstwert.

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4 Kommentare

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  • Und wie schauts diesbezüglich in Asien aus? Die Winzlingsnation Deutschland hat mehr als doppelt so viele Covid-19 Tote wie das Milliarden Volk der Chinesen. Tolle Leistung im Westen! Jede Woche sind in diesem Jahr in Europa so viele Menschen an Covid-19 ums Leben gekommen wie wenn wöchentlich 17 vollbesetzte Jumbojets abgestürzt wären. Ich möchte mal hören was da los wäre!

  • Interessant, dass die härtesten Lockdowns in diesen Ländern keine besseren Ergebnisse erbracht haben. Da gibt es wohl andere Gründe, warum Corona in diesen Ländern zu solche einer Sterblichkeit geführt hat.

    • @Martin_25:

      Die Lockdowns kamen zu spät,



      und im Sommer war man zu lasch.

      #zeroCovid-Strategien wie in China, Südkorea, Japan, Australien, Neuseeland etc. war in Europa nie mehrheitsfähig.

      Und die Cluster-Verfolgung haben die Asien gleich gemacht:

      nur etwa 20% der Infizierten sorgen für 80% der Infektionen.

      Wenn man nun einen Infizierten hat bringt es relativ wenig, zu schauen, wen könnte er noch infiziert haben.



      Viel mehr aber: wo hat der sich infiziert. Wo ist der Cluster-Ursprung.

      Aber im Sommer war ja alles gut in Europa, da musste man nichts machen.

      Die Politik des Aussitzens, der ruhigen Hand, oder wie auch immer das jetzt bei Merkel genannt wird, hat ja auch lange Tradition in Deutschland.

      • @R R:

        Israel ist vielleicht das beste Beispiel.

        Lockdown auf Druck der Religioten bis Mitte September hinausgeschoben. Also just bis dahin, als das logistische Wachstum der Neuinfektionen den Wendepunkt überschritten hatte. Als die Anzahl der Infizierten die Anzahl der leicht zu Infizierenden überstieg, und der Ausbreitungsschub des Virus bereits von selbst zum Erliegen kam, weil "gute" (unvorsichtige) Wirte immer seltener wurden.



        Wie zu erwarten, brachte ein so verspäteter Lockdown so ziemlich gar nichts, und die Infektionskurve folgte lediglich dem naturgegebenen sigmoidalen Verlauf.

        Als die täglichen Neudiagnosen dann bei 1.000 waren (Mitte Oktober) Aufhebung des Lockdowns.

        Heute, rund 5 Wochen später, wieder mehr als 1.000 NeuDIAGNOSEN am Tag. Das heißt: mehr als 1.000 NeuINFEKTIONEN vor rund 10 Tagen, heute also vielleicht so 1.200-1.500.

        Das ist vielleicht das aktuell prägnanteste Beispiel dieses "nicht hüh, nicht hott", das NUTZER hier taz.de/!5731615/#bb_message_4047664 ansprach.

        Bemerkenswert vielleicht auch insofern, als dass Israel im Frühling genau wie Deutschland als Überperformer bejubelt wurde (von denjenigen "Analzysten", in deren Welt am Ostrand des Ural die Wasser vom Rand der Erdscheibe ins Bodenlose stürzen), und genau wie Deutschland den Fehler gemacht hat, biogeographischen Zufall mit politischer Kompetenz zu verwechseln, und einer ziemlich kleinen Minderheit von Realitätsverweigerern eine Vorzugsbehandlung zu geben.

        tl;dr: wenn die Bundesregierung ihre Hausaufgaben gemacht hätte, hätte es ab Anfang September Lockdowns auf Kreisebene gegeben, und eine flächenhafte Etablierung des Virus, randvolle Intensivstationen, massenhafte Ausfälle beim medizinischen Personal, Kollaps des Test&Trace-Systems etc etc wären verhindert worden.